Anlässlich der Abstimmung über einen neuen Windkrafterlass für das Land Schleswig-Holstein wandte sich Dr. med. Christian Rohrbacher mit einer ärztlichen Eingabe an alle zur Entscheidung aufgerufenen Landtagsabgeordneteten:
Eckernförde, den 3. Mai 2015 Sehr geehrte Abgeordnete des Landtags Schleswig-Holstein, sehr geehrte Entscheidungsträger/innnen, anlässlich der bevorstehenden Abstimmung über ein neues Gesetz zum Bau von Windkraftanlagen (WKA) möchte ich mich ganz persönlich als Arzt, der ich bin, an Sie wenden, um an Ihre Verantwortung zu appellieren, ihre Verantwortung gegenüber den Gesundheitsinteressen der ihnen schutzbefohlenen Bevölkerung. Denn entgegen allen Beschwichtigungsversuchen der Windkraftindustrie stehen zahlreiche Nachweise, Studien und mir als Arzt bekannte Betroffenheitsberichte zu ernsten Gesundheitsgefahren durch WKA für die Bevölkerung. Das Gefahrenpotential von Windkraft wird leider immer wieder unterschätzt. Überall im Land schießen in übergroßem Tempo Windkraftanlagen in die Höhe, und was für eine Höhe: 150 m, 180 m, 200 m, ja es geht sogar noch höher! Es scheint eine wahre Goldgräberstimmung ausgebrochen zu sein. Investoren locken mit hohen Vergütungen und so mancher Bürger, der in Zeiten flauer Bankzinsen eh nicht so recht weiß, wohin mit seinem Geld, zeichnet gerne. Doch Cave: die neue Technologie, welche den Bürgern gerne als zukunfsweisend, grün und ökologisch angeboten wird, birgt durchaus Gefahren, leider. Windkraftanlagen sind Energiewandler: bis zu 40% der Windkraft wird in Strom, ein großer Rest jedoch in Druckwellen, also Schall umgewandelt (heutige Anlagen liegen bei 104 bis 108 dB(A)! ). Und diesem ist man in der Nähe einer Anlage ausgesetzt, unzweifelhaft, und dies auch durchaus, wenn man gezwungen ist, in nur 800 oder gar 400m zu einer 180 oder gar 200m großen Anlage zu wohnen und zu leben. Und Schall/Lärm kann nunmal krank machen. Zwar gilt hier wie bei so manch anderem krank machenden Agens keine Eins-zu-Eins-Relation. Es ist vielmehr wie bei Nebenwirkungen von Medikamenten zu verstehen, der eine erkrankt daran, der andere eben nicht. Doch Schall zählt wohl eher zu den „Medikamenten”, welche eine nicht gerade geringe Nebenwirkungsrate besitzen. Was passiert da? Es wird sozusagen eine Art Stressreaktion im Körper erzeugt. Und da der Mensch, wie es seine seit Urzeiten einprogrammierten Reaktionsmuster verlangen, weder angreifen noch weglaufen kann (so er denn nicht wegzieht, doch wer zahlt ihm den Wertverlust seiner Immobilie?), ist einer Art Dauerstress ausgesetzt: Stresshormone verbleiben auf einem ungesund hohen Level und können z.B. vegetative Veränderungen u./o. schleichende Entzündungsreaktionen auslösen wie Veränderungen an Gefäßen mit möglichen Folgen wie Bluthochdruck, Herzinfarkt, Schlaganfall. Anhaltender Stress schwächt zudem nachweislich das Immunsystem, mit allen Langzeitfolgen wie auch dem Anstieg von Krebserkrankungen. An dieser Stelle würde ihnen die Windkraftindustrie wohl antworten, dass es doch gesetzlich vorgeschriebene Normwerte für diese Schallexposition gibt und man die Anlagen so berechnet hat, dass diese Grenzwerte eingehalten werden. Doch zum einen basieren heutige Schallgutachten auf der völlig veralteten DIN 9613–2, welche aus dem Jahre 1978 stammt und von einer 30m hohen punktfömigen Emissionsquelle ausgeht. Das ist meilenweit entfernt von heutigen 200m Rädern, welche zudem flächenförmig Schall abstrahlen. Zum andern ist das Schallmuster der Windräder pulsierend, erzeugt durch die Passage der Rotorblätter am Mast. Die dadurch entstehen Schallspitzen liegen deutlich über der gemessenen Mittelwertskurve und bleiben – obwohl natürlich biologisch wirksam – unberücksichtigt. Und drittens – last but noch least – reagiert jedes Individuum, wie bereits gesagt, sehr verschieden, der eine weniger, der andere mehr empfänglich. Gesetzliche Vorgaben beruhen hingegen wiederum auf Mittelwertsbildungen. Die Bedürfnisse der eher sensiblen, empfindlicheren Menschen werden nicht berücksichtigt. Da sage ich als Arzt: wenn schon Schutzvorschriften, dann doch bitte Schutzvorschriften für alle, für empfänglichere Menschen ebenso wie für Kranke, Schwangere und (Klein)Kinder, welche bereits per se wesentlicher empfindlicher auf Störeinflüsse reagieren. Als wäre dies noch nicht alles, muss ich leider auch noch erwähnen, dass es außer dem beschriebenen krank machendem Lärm noch weitere von WKAs ausgehende Schallwellen mit Gefahrenpotential gibt: Infraschall, Frequenzen unter 20 Hz, welche in der Regel für das menschliche Ohr nicht wahrnehmbar sind. In zahlreichen Studien wird ihm krank machendes Potential zugeschrieben: beobachtet wurden Konzentrations‑, Aufmerksamkeits- Schlafstörungen, ADHS, Kopfschmerzen, Schwindel, Tinnitus, Unwohlsein, Depressionen, Panikattacken mit Herzrasen bis hin zu den bereits erwähnten vegetativen Veränderungen wie Bluthochdruck und Immunsuppression mit allen Folgen bei Langzeitexposition (s.o.). Prof. Krahé kommt in seiner Infraschallstudie des Umweltbundesamtes (2014) auf Basis von 1239 Arbeiten zu dem Schluss, dass eine vorbeugende Abschätzung der Infraschallpegel in der Umgebung von Windkraftanlagen unmöglich ist. Vor krankmachender Wirkung ist man sogar in 2000m Entfernung nicht vollends sicher. Die von Windkraftbefürwortern gerne ins Feld geführte Willstedtstudie belegt eine Betroffenheit von 10% der Bevölkerung, und das trotz Einhaltung der 10xH-Regel (Abstand = 10 x Höhe der WKA). Internationale Studien (Dänemark etc.) sprechen von Erkrankungsraten von 20–30%. Dänemark, bis dato Musterland der Windenergienutzung, stoppte aus Angst vor Gesundheitsgefahren 2014 den weiteren Ausbau an Land weitestgehend. Die Erklärung für Wirkungen des Infraschall unterhalb der Wahrnehmungsschwelle des Gehörs findet sind im Innenohr. Die so genannten äußeren Haarzellen der Cochlea (=Gehörschnecke) sind für Infraschall 50mal sensibler als die inneren Haarzellen (diese sind für das Hören zuständig). Im Zusammenspiel mit dem Gleichgewichtsorgan, welches selbst etwa 10mal empfindlicher für die unhörbaren Druckschwankungen ist, reagieren diese auf Infraschall und leiten die Impulse an übergeordnete Gehirnzentren wie z.B. Kleinhirn und Amygdala weiter. Von dort aus wird die beschriebene Stresshormonkaskade in Gang gesetzt. Weiterhin ist wichtig zu wissen, dass die krankmachende Wirkung von technisch erzeugtem Infraschall weniger aus dem absoluten Schallpegel, sondern vielmehr aus der Langfristigkeit der Beschallung mit typischen Frequenzmustern resultiert: Ton- und Impulshaftigkeit der WKA-Emissionen bewirken durch Dysregulation und Schädigung der sensorischen Zellen auf Dauer eine zunehmende Empfindlichkeit der betroffenen Menschen. Natürliche Infraschallquellen wie z.B. Wind und Meeresrauschen als Gegenbeweis anzuführen, spricht für die Unkenntnis physikalisch-biologischer Zusammenhänge: Für Infraschall existieren auf Grund seiner extremen Wellenlänge (z.B. 170 m für Schallwellen von 2 Hz) weder landschaftliche Hindernisse noch bauliche Schutzmaßnahmen. Infraschall von WKA hebt sich selbst noch in 8–10 km Entfernung signifikant vom natürlichen Umgebungsgeräusch ab, wie wissenschaftlich anerkannte Forscher (Ceranna, Hansen) nachweisen konnten. Darum meine/unsere Forderung an Sie: Sorgen Sie bitte dafür, dass die völlig veraltete DIN 45680 und 9613–2 sowie die TA-Lärm korrigiert sowie die katastrophalen Mindestabstände in S‑H erhöht werden, auf mindestens 10mal der Höhe der Anlagen zu jeglicher Wohnstätte, selbstverständlich auch zu so genannten Splittersiedlungen, denn warum sollten Gesundheit und Leben der dort wohnenden Menschen weniger wert sein als das der Stadt- und Ortsbevölkerung? In der Hoffnung auf rasche Verbesserung bestehender hochproblematischer Verhältnisse grüße ich Sie alle, Dr. med. Christian Rohrbacher FA für Innere Medizin/Psychoanalyse, Eckernförde | ||
Die Inhalte des Briefes ließ der engagierte Umsetzer des hippokratischen Eids auch allen Dienstellen des Landesamtes für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume sowie allen Gesundheitsämtern Schleswig-Holsteins zukommen. VERNUNFTKRAFT. dankt Dr. Rohrbacher und wünscht den Kieler Abgeordneten den Mut zu einer verantwortungsvollen Politik.