Am 19. Juni 2019 ist unter anderem vom ZDF zu erfahren, dass das “NordLink” genannte Gleichstromkabel zwischen Norwegen und Deutschland im schleswig-holsteinischen Husum angekommen ist.
Der überschüssige Windstrom, der zur Zeit in Schleswig-Holstein die Stromkunden 400 Mio. Euro jährlich kostet, soll darüber durchs Meer nach Norden geleitet werden, um in norwegischen Wasserkraftwerken gespeichert zu werden und bei schleswig-holsteinischer Flaute wieder zurückzufließen – so die offizielle Lesart.
Was zunächst gut klingt, verdient eine nähere Betrachtung:
Norwegen versorgt sich selbst zu nahezu 100 % mit Wasserkraft. Die norwegischen Wasserkraftwerke sind allerdings Talsperren- und – in geringem Umfang – Laufwasserkraftwerke, die den Strom aus natürlich fließenden Gewässern generieren. Wenn die “natürlichen Speicher”, die Talsperren, leer oder die Flüsse vereist sind, wird Norwegen regelmäßig zum Stromimporteur. Das Nachbarland Schweden überbrückt dann die norwegischen Engpässe (u.a. mit Strom aus Kernenergie). Im Januar und Mai 2019, zwei durchaus exemplarischen Monaten, stellte sich dies so dar:
Die Norweger können mit deutschem Windstrom also vergleichsweise wenig anfangen. Keineswegs benötigen sie ihn, wie oftmals suggeriert wird, um Wasser in dortige Speicherseen zu pumpen. Allenfalls kann deutscher Windstrom die notwendige Entnahme aus den durch fließende Gewässer gespeisten Stauseen in homöopathischen Dosen etwas reduzieren. Wenn die Stauseen aber leer sind, ist sprichwörtlich und faktisch “Schicht im Schacht”. Insbesondere im Winter, wenn Norwegen am ehesten auf Importe angewiesen ist, ist in Schleswig-Holstein eine “Kaltdunkelflaute” am wahrscheinlichsten. Das energiewirtschaftliche Eigeninteresse Norwegens an deutschem Windstrom ist also vergleichsweise gering. Dass Schleswig-Holstein andererseits mit norwegischen Wasserkraftstrom liebäugelt, ist klar. Schließlich soll die lokale CO2-Bilanz nicht, wie bisher, nur durch polnischen Kohle- oder französischen Atomstrom gesichert werden.
Allerdings brauchen die Norweger ihren Wasserkraftstrom zuvörderst selbst. Speicherseen, im eigentlichen Sinne, in denen der überschüssige deutsche Windstrom in relevanter Größenordnung gespeichert werden kann, gibt es (noch) nicht. Es müssten solche erst geschaffen werden, die dann mit Hilfe des deutschen überschüssigen Windstroms vollgepumpt werden könnten.
Selbst wenn die Norwegische Regierung es als opportun ansieht, die eigene Energie-Exportwirtschaft weg von Öl und Gas und hin zu Wasserkraftstrom umzubauen, sollte in Deutschland ehrlich kommuniziert werden, dass die (größenordnungsmäßig relevante) Zwischenlagerung von schleswig-holsteinischem Windstrom in Norwegen vor Ort erst einen gewaltigen Strukturausbau voraussetzt und zu massiven ökologischen Verwerfungen führt. Das Fluten von Tälern ist ein massiver Eingriff in die Natur, Ökosysteme werden dabei in großem Umfang zerstört.
Norwegens Natur wird so zur Windstromdeponie für Deutschlands gutes Gewissen.
VERNUNFTKRAFT. – Empiriker Rolf Schuster – sonst vor allem für nüchterne Zahlen aufschlussreiche Abbildungen bekannt- findet für den Sachverhalt diese prägnanten Worte:
Norwegen hatte vor 75 Jahren Besuch von einem “Volk ohne Raum”.
Aus diesem Grund wird Norwegen sicherlich nicht seine Fjorde zumauern – für ein Land ohne Strom.
Selbst wenn Norwegen als “Zwischenlager” für deutschen Windstrom zur Verfügung stünde, wäre es im Übrigen naiv zu hoffen, dass Strom für deutsche Verbraucher dadurch billiger würde. Es ist nicht davon auszugehen, dass Norwegen uns den Strom kostenfrei lagert, bis wir ihn irgendwann unkalkulierbar einmal brauchen.
Die grundlegende Analyse, die Dr. Björn Peters bereits im Dezember 2016 angestellt hat, bleibt auch nach dem Anlanden des Kabels unverändert gültig.
Auf andere, in ihrer zerstörerischen Wirkung sehr ähnliche Weise wie die schleswig-holsteinischen Strommüllproduzenten versuchen übrigens auch die Münchner Stadtwerke, ihr “Öko-Image” auf Kosten der Natur Norwegens aufzupolieren:
Es drängt sich die Frage auf, wer die Norweger eigentlich gefragt hat, bzw. welche Norweger gefragt wurden, ob sie auf diese oder die andere Weise ihr Land in den Dienst deutscher Ideologie stellen wollen.
Ebenso aufdringlich ist der Eindruck, dass es sich beim Rückgriff auf nordische Sagen und Mythen und beim Übergriff auf nordische Natur um Öko-Kolonialismus handelt. Sowohl die Batteriespeicher als auch die geplanten “Ökostrom”-Anlagen in Norwegen erfüllen primär den Zweck, für die offenkundigen Probleme der “Energiewende” Lösungen vorzugaukeln. Es sind exotische Elemente des hiesigen Erfolgsmärchens.
Die ganze Kolonialgeschichte ist ja Schwindel, aber wir brauchen sie für die Wahlen.
Otto v. Bismarck, 1884
Belege für diese in anderem geschichtlichen Zusammenhang getätigte Aussage, finden sich u.a. hier, hier und hier.