Im Reinhardswald wurden Baumfällungen begonnen. Ein wertvoller Naturraum soll der Windkraftindustrie geopfert werden. Aber noch ist nicht alles verloren.
Ich komme gerade aus dem Wald und bin schockiert
Mit diesen Worten schilderte Oliver Penner, Sprecher des Aktionsbündnis Märchenland, am 9. Februar 2022 seine Eindrücke nach einem Besuch des Reinhardswalds, auch als Schatzhaus der europäischen Wälder bekannt.
Seit neun Jahren beobachten wir bei VERNUNFTKRAFT. mit großer Sorge, wie die Planungen zur Ansiedlung von Windkraftindustrie und damit zur Zerstörung dieser einzigartigen Natur- und Kulturlandschaft gegen den Willen der Menschen vor Ort voran getrieben werden (mehr dazu hier, hier, hier, hier, hier oder hier.)
In diesen Tagen erhielten die Planer grünes Licht von der Genehmigungsbehörde – und begannen sofort mit Fällungen. Der mit viel Kreativität und Herzblut betriebene Widerstand, der sich prominenter Unterstützung erfreut, wurde mit schwerem Gefährt überrollt. Die größte deutsche Tageszeitung thematisierte den Vorgang:
Das Magazin Stern widmete ihm einen längeren Artikel:
Bis zu 200 Jahre alte Buchen sollen nun der Windkraft-Ansiedlung geopfert werden.
Doch noch ist deren Schicksal nicht besiegelt. Die Menschen vor Ort sind keineswegs gewillt, den Kampf für Natur, Landschaft und Artenschutz aufzugeben: Am Sonntag, den 6. Februar 2022 kamen in Gottsbüren rund siebenhundert Menschen zu einem Protestmarsch zusammen.
Trotz sehr schlechtem Wetter ließen sie es sich nicht nehmen, deutlich zu zeigen, dass sie dagegen sind. Und das aus sehr guten Gründen.
Sehr schlechte Gründe führte zum wiederholten Male Frau Priska Hinz, die hessische Umweltministerin, ins Feld: Das Industrieprojekt sei unverzichtbar und diene, als Klimaschutzmaßnahme, auch der Erhaltung des Waldes. Unsinn, der leider immer penetranter vorgetragen wird. Professor Piere Ibisch, Ökologe aus Brandenburg, hat dies im September 2021 bei FOCUS online (Link) sehr nachvollziehbar dargestellt:
Aus FOCUS online (…) Dringend ist die Klimakrise effektiv zu bekämpfen, die globale Erwärmung muss gestoppt werden – das ist von übergeordneter Wichtigkeit. (…) Aber Achtung, jetzt gilt es, in der „Erneuerbaren-Ausbau-Panik“ nicht das Kind mit dem Bade ausschütten. Es ist nämlich ein schwerer Fehler, nunmehr Wälder zu roden, zu zerstückeln und zu planieren, um sie zu Energieparks zu machen. Klingt das nach einer absurden Idee? Ja, durchaus, aber offenbar ist sie nicht absurd genug, um in die Programme sogar von Naturschutzverbänden gerutscht zu sein. Vor Jahren schon wurde vorgeschlagen, etwa Kiefernforste zu roden, um auf den freiwerdenden Flächen Photovoltaikkraftwerke zu installieren. Und nunmehr drängen die Windkraftanlagen in die letzten Winkel erschlossener, nicht vollends industrialisierter Landschaften – in die Wälder. (…) Und der leidende Wald kommt dem Energieausbau durch das aktuelle Baumsterben leider entgegen. Längst werben Windkraftfirmen damit, dass sie die (finanzielle) Lösung für geschädigte Waldbesitzer hätten: Ertragreiche Windräder auf bereits gerodete Flächen bauen – ohne, dass ein weiterer Baum fallen muss. Das scheint elegant, allen wird geholfen. Kann es denn etwa ein Problem sein, wenn kahle Flächen, auf denen tote Fichten weggeräumt werden, nun nur zum Teil aufgeforstet– und zum anderen Teil in Windkraftparks umgewandelt werden? Ja, es kann! Und es bringt sogar viele unbedachte Folgewirkungen mit sich. Wälder sind starke, aber empfindliche Ökosysteme. Nicht allein der Verlust von Fauna ist ein Problem. Vielmehr sind es vor allem auch die Schneisen, die den Wald im Klimastress zusätzlich Wind und Hitze aussetzen. Wälder wachsen so, dass möglichst große Flächen bedeckt, ein möglichst geschlossenes Kronendach ausgebildet und Waldränder minimiert werden. Je größer Waldgebiete sind, desto ausgeprägter wird ihre biologische und klimatische Funktionstüchtigkeit. Waldökosysteme schützen sich gegen Austrocknung und großflächige Hitze- oder Sturmschäden. Mit dem Ausbau der Windräder in Wäldern werden Trassen und Wege gebaut. Mit ihnen gehen auch wertvolle Waldböden verloren, die unwiderruflich verdichtet werden – die Landschaftswasserspeicherfähigkeit wird reduziert, das Waldökosystem wird auch unterirdisch zerschnitten. Oberirdisch sorgt die Zerschneidung auch für eine größere Anfälligkeit gegenüber Windwurf. Weder sind alle diese Wirkungen verstanden, noch werden sie vor dem Bau von Anlagen angemessen kritisch beachtet. |
Eine kurze und prägnante Formulierung fand der bekannte Förster und Buchautor Peter Wohlleben:
Eine ausführliche und grundsätzliche Abhandlung lieferte der Biologe Dr. Wolfgang Epple.
Die Naturschutzinitiative hat sich des Falls angenommen. Wir wünschen ihr vollen Erfolg.
Die Vorgänge im Reinhardswald sind ein Symptom der grundsätzlich verfehlten Energiewende-Politik, die Wälder, Landschaften und Naturräume im Namen der “ökologischen Transformation” in Industriezonen verwandeln will – der Reinhardswald ist überall. Er muss daher auch überall verteidigt werden.
Nachtrag, 15. Februar 2022: Die auflagenstärkste deutsche Tageszeitung beleuchtet weitere Hintergründe und neue Entwicklungen um den nordhessischen Wald. Unter anderem wird berichtet, dass der Verwaltungsgerichtshof Kassel den prospektiven Anlagenbetreiber um einen Rodungsstopp gebeten habe – der zuständige Richter erklärt:
Doch die Bitte wurde einfach ignoriert. Es wurden vollendete Tatsachen geschaffen. (…) Sie opfern den Reinhardswald um die Sababurg für Windkraft-Anlagen. Ein Kulturgut von internationaler Bedeutung.