Aber wo soll der Strom denn sonst herkommen?
Diese Frage bekommen Skeptiker und Kritiker des Windkraftausbaus regelmäßig gestellt. Ganz so, als würde der Verzicht auf ebendiesen die Stromversorgung gefährden. Dem ist nicht so. Im Gegenteil, der ungezügelte Ausbau von Windkraftanlagen gefährdet die Versorgungssicherheit in zunehmendem Maße. Denn Strom ist nicht gleich Strom.
Die verlässliche Verfügbarkeit von Strom rund um die Uhr ist in der Bundesrepublik Deutschland eine Selbstverständlichkeit. Selbstverständliches wird oft wenig gewürdigt. Wer sich einmal näher mit der Bedeutung einer verlässlichen Stromversorgung für unsere hochkomplexe, hochtechnisierte Gesellschaft befasst hat, wird dieses hohe Gut zu schätzen wissen: Es geht nicht nur um Komfort und Bequemlichkeit. Es geht nicht nur darum, eine für viele wertschöpfungsintensive Produktionsprozesse unerlässliche Randbedingung und damit einen zentralen Wettbewerbsvorteil unseres Landes als Industriestandort aufrechtzuerhalten. Es geht um nicht weniger als das Funktionieren unseres zivilisierten Zusammenlebens.
Strom ist nur ein (kleiner) Teil der Energie(wende)
Bislang macht der Strom ungefähr ein Fünftel des gesamten Energiebedarfs aus. Entsprechend ist der Beitrag der Windkraft als vermeintlich “wichtigste Energiequelle der Zukunft” sehr überschaubar:
Alle Anlagen zusammen trugen 2018 gerade einmal 3 % zur Deckung unseres Energiebedarfs bei. Im Zuge der sogenannten “Sektorkopplung” und der “Wasserstoff-Revolution” will man diesen Beitrag dadurch erhöhen, dass man die Elektrifizierung vorantreibt. Die Frage, wo unser Strom denn herkommt bzw. herkommen soll, ist also von elementarer Bedeutung.
Bei deren Beantwortung ist eine fundamentale Eigenschaft des Stroms zu berücksichtigen: Er muss millisekundengenau im Augenblick des Verbrauchs erzeugt werden. Diese Balance zwischen Leistungsangebot und Leistungsnachfrage, zwischen Stromproduktion und Stromverbrauch wird von regelbaren Kraftwerken gewährleistet. Auf diesem Prinzip beruhen stabile Stromnetze. Gemäß politischem Wunsch sollen Windenergie- und Photovoltaikanlagen die Hauptlast der Stromversorgung übernehmen. Die Physik zeigt sich von diesem Wunsch allerdings unbeeindruckt.
Strom ist nicht gleich Strom
In Deutschland sind Ende Juli 2020 zu Wasser und Land zusammen über 31.000 Windenergieanlagen (WEA) mit ca. 62.300 Megawatt Nennleistung installiert. Nennleistung bezeichnet die höchste Leistung, die bei optimalen Betriebsbedingungen (starke bis stürmische Windverhältnisse) dauerhaft zur Verfügung gestellt werden kann. Also das, was auf dem Typenschild steht.
In Abb. 2 dokumentieren die dunkelblauen Flächen den zeitlichen Verlauf der gesamten Einspeiseleistung aller deutschen WEA im Juli 2020, aus der die eingespeiste elektrische Arbeit von 7.293 GWh (1 GWh = 1 Mio kWh) resultiert, was 15,7 % der theoretisch möglichen Arbeit entspricht. Im Durchschnitt leisteten alle deutschen Anlagen im Juli 2020 also rund 16 Prozent dessen, was auf dem Typenschild steht (einen generellen Kommentar zu diesem Arbeitsethos finden Sie hier).
Die rote Begrenzungslinie bezeichnet die installierte Nennleistung aller WEA in Deutschland. In der Hälfte des Juli lag die Leistungseinspeisung unterhalb von 10 % der installierten Nennleistung aller Anlagen. In 1,5 % der Zeit wurden Werte oberhalb von 50 % erreicht (Spitzen am 6. Juli oberhalb von 30.000 MW).
In Abb. 3 ist als Zusatzinformation der Stromverbrauch (braun) den Leistungsganglinien der Windenergie- und PV-Anlagen überlagert. Der maximale Stromverbrauch (= die maximale Einspeiseleistung aller Kraftwerke) lag im Mai 2020 bei 66.515 MW, der Mittelwert bei 50–135 MW. Im Hintergrund ist die installierte Nennleistung aller WEA und PV-Anlagen in Deutschland von 95.965 MW als hellblaue Fläche mit Begrenzungslinie (rot) als Vergleich zur Einspeiseleistung dieser Anlagen zu sehen. Der Stromverbrauch im Mai 2020 lag bei 37 Milliarden kWh. WEA stellten 6,3 Milliarden kWh und PV-Anlagen 7,3 Milliarden kWh bereit. Der Minimalwert der Leistungseinspeisung aller PV- und Windenergieanlagen lag bei 751 MW. Dies entspricht 0,66 % der installierten Nennleistung von 113.689 MW von „Sonne und Wind“.
Die anderen Kraftwerke mussten die Netzstabilität zu jedem Zeitpunkt – teilweise über längere Zeiträume – fast in vollem Umfang mit bis zu 66–515 MW Einspeiseleistung absichern. Windkraft und Photovoltaik, die “Säulen der Energiewende” brachen komplett ein.
Am 17. Mai 2020 um 14 Uhr – bedingt durch die geringe Nachfrage durch die Coronakrise – traf die Einspeisung von Wind + Solar mit 41.324 MW auf eine Nachfrage von 42.529 MW. Dies führte zum ersten mal zu einer negativen Residuallast von ‑1.250 MW. Abb. 4 mit der Stromverbrauchskurve (braune Fläche) und den Einspeisungen der Wind- und PV-Anlagen im Zeitraum 15. bis 21. Mai 2020 verdeutlicht das Dilemma:
Eine gesicherte Stromeinspeisung mit einem akzeptablen „Sockel“ an Einspeiseleistung ist nicht vorhanden. Wenn kein Wind weht, sind (nahezu) alle Anlagen betroffen. Gleiches gilt für die Photovoltaik in der Nacht oder an trüben Wintertagen. Die Kosten für zwei parallel betriebene Erzeugungssysteme mit stark steigender Anzahl von Noteingriffen tragen die Verbraucher über EEG-Umlagen und Netzentgelte.
Bilanz der letzten 10 Jahre – viel hilft nicht viel
Vielleicht haben wir einfach noch nicht genügend Anlagen aufgestellt – vielleicht bringt die fünfzigtausendste Windenergieanlage den Durchbruch?
Die Abbildungen 5 und 6 dokumentieren die Einspeisung aller deutschen Windenergie und PV-Anlagen zwischen 2011 bis Mitte 2020 vor dem Hintergrund der in den letzten Jahren rasant angestiegenen installierten Nennleistung. Man sieht: Hier wurde geklotzt, nicht gekleckert.
Die Anlagenzahl wurde binnen 10 Jahren fast verdoppelt, die kumulierte Nennleistung mehr als verdoppelt. Ab 2015 wurde auch auf See umfangreich Kapazität aufgebaut. Was die tatsächliche Erzeugung, d.h. die Einspeiseleistung betrifft, blieb das Grundproblem aber ungelöst: Die Spitzen wuchsen, aber die Täler füllten sich nicht.
Die „gesicherte Minimalleistung“ aller 31.000 Windenergie- und aller PV-Anlagen (zusammen über 400 Millionen m² Kollektorfläche) bleibt aufgrund der Wetterabhängigkeit (Flauten und Zeiten ohne Sonneneinstrahlung) trotz des starken Zubaus der letzten Jahre im gesamten Zeitraum und insbesondere auch in den Wintermonaten mit höherem Stromverbrauch weiterhin nahezu Null.
Ein gegenseitiger Ausgleich der Einspeisung der Windenergieanlagen im gesamten Bundesgebiet ist trotz weiträumiger Verteilung der Anlagen nicht erkennbar. Offensichtlich wachsen die Ausschläge und Schwankungen mit dem Zubau an Erzeugungskapazitäten immer weiter an.
Abb. 7 zeigt den Verlauf des Stromverbrauchs (gemittelt über die Monate).
Die konventionellen Anlagen produzieren die fehlende Strommenge zwischen den mit Vorrang einspeisenden “Ökostrom”-Anlagen und dem Stromverbrauch. Nach Abschalten des letzten Kernkraftwerks in 2022 verbleiben nurmehr die Kohle- , Gas- und Ölkraftwerke zur Sicherstellung der Stromversorgung.
Ausbau wetterabhängiger Erzeuger gefährdet Systemstabilität
Ebenso ist in Abb. 7 zu erkennen, dass mit der steigenden installierten Nennleistung der WEA und PV-Anlagen (hellblauer Hintergrund) die Spitzen der Leistungseinspeisung (gelb PV, dunkelblau Wind) ebenfalls an Höhe gewinnen: Die Stromspitzen der volatilen Energien reichen immer öfter an die Minima des Stromverbrauchs heran – im Mai 2020 sogar erstmals darüber hinaus. Dies ist nicht etwa als Fortschritt zu bewerten, sondern reduziert die Regelbarkeit des Gesamtsystems, die von den konventionellen Anlagen jederzeit gewährleistet werden muss.
- Bei fehlender Einspeisung von „Wind und Sonne“ ist die gesamte Kapazität des konventionellen Kraftwerksparks vonnöten, um den Stromverbrauch abzusichern, bei hohem Verbrauch im Winter auch mit durch die Netzagentur unter Vertrag genommenen Ersatzkraftwerken im Ausland. Die konventionellen Erzeugungsanlagen werden diese Pufferfunktion bei weiter steigender Einspeisung volatiler Leistung bald nicht mehr erfüllen können. Die bedrohliche Situation einer unzureichenden Pufferung zur Sicherung der Netzstabiliät wird zur Regel werden. Kraftwerke können keinen negativen Strom erzeugen.
- Auch das „Verschrotten“ bzw. „Verklappen“ von Strom im Ausland zur Reduktion der Überlappungsbereiche wird schwieriger werden, da sich die Nachbarländer mit Stromsperren abschotten, um ihre eigenen Netze zu schützen. Überdies schwindet die zur Stabilisierung der Stromnetze zwingend erforderliche Schwungmassenreserve der Turbinen und Generatoren großer konventioneller Kraft-werke. Dadurch wird das Netz zusätzlich gefährdet.
- Bei weiter ansteigenden Einspeisungen der Windenergie- und PV-Anlagen, die vermehrt an den minimalen Stromverbrauch z.B. in der Nacht und am Wochenende heranreichen werden, wird die Regelfähigkeit der konventionellen Stromerzeuger stark eingeschränkt. Die Konstanz von Frequenz und Spannung im Stromnetz wird gefährdet bzw. nicht mehr gewährleistet sein.
Wer die Einspeisecharakteristik der Stromerzeugung aus Windkraft und PV gründlich studiert, erkennt: Sonnen- und Windenergie haben wir meist viel zu wenig und manchmal viel zu viel. Man kann sich auf nichts verlassen – außer den Zufall, der sie liefert.
Auf die Frage, wo der Strom herkommen soll, kann “Wind und Sonne” nicht die Antwort sein, wenn man von einer sicheren Versorgung ausgehen möchte.
Als Auswege aus diesem Dilemma nennen Fürsprecher des weiteren Ausbaus von Windenergieanlagen regionale Ausgleichseffekte eines europäischen Vorgehens (“irgendwo weht immer Wind”) sowie auf vermeintlich bereits vorhandene Speichertechnologien. Warum diese Antworten nicht überzeugen können, können Sie hier und hier lesen.