Auf S. 8 der Ausgabe vom 10.7.2013 ist in der tageszeitung (taz) von Studien zu lesen, denen zufolge die Bedeutung der Braunkohle für die deutsche Stromerzeugung in den nächsten 20 Jahren steigen wird. Grau unterlegt lesen Sie den Originaltext, abgesetzt unsere Kommentare.
Noch zwei Dekaden Strom aus Braunkohle
VERSORGUNG Der Energieträger spielt noch 20 Jahre eine dominante Rolle, glauben die Netzbetreiber
Strom aus Braunkohle könnte in den nächsten zehn Jahren eine noch größere Rolle spielen als heute – trotz Energiewende. Die Agentur für Erneuerbare Energien (AEE) hat dazu mehrere Studien verglichen, in denen eruiert wird, welche Kraftwerke künftig zum Einsatz kommen.
Kommentar: Die Agentur für Erneuerbare Energien ist eine teilweise mit Steuermitteln finanzierte Lobbyorganisation. Sie versendet regelmäßig Presseerklärungen, die jeden Realitätssinn vermissen lassen. Hier ein Beispiel.
Nun sind es ausgerechnet die Übertragungsnetzbetreiber, die davon ausgehen, dass die Energieversorger weiterhin in großen Mengen Braunkohle verheizen werden.
Die AEE hat ausgerechnet, dass im Jahr 2011 Braunkohlekraftwerke im Schnitt 6.000 Stunden auf voller Leistung Strom erzeugten. Die Übertragungsnetzbetreiber simulieren in ihrem wahrscheinlichsten Szenario, dass es im Jahr 2023 7.425 sogenannte Volllaststunden sind und zehn Jahre später immer noch 7.000.
“Das ist energiewirtschaftlich unnötig und widerspricht eklatant den Klimaschutzzielen”, sagt Philipp Vohrer, Geschäftsführer der AEE.
Kommentar: Mit dieser Einschätzung liegt der Lobbyist eindeutig richtig. Dass der Braunkohleeinsatz steigt, widerspricht dem Klimaschutz und ist unnötig. Was Herr Vohrer verschweigt: diese Widersprüche sind das Ergebnis genau desjenigen absurden Anreizsystems, das seine Agentur verhement verteidigt: Das EEG ist der Überlebensgarant der von ihm vertretenen Branche.
Die Agentur wird teilweise von Bundesministerien, teilweise aus der Branche der erneuerbaren Energien finanziert. Die extrem braunkohlefreundliche Berechnung der Übertragungsnetzbetreiber ist deshalb bedeutend, weil sie es sind, die den sogenannten Netzentwicklungsplan erstellen. Der wiederum ist die Grundlage für die Gesetze, in denen festgelegt wird, wo künftig neue Höchstspannungstrassen quer durch Deutschland gebaut werden und vor allem wie viele.
Kommentar: Das Wort “braunkohlefreundlich” suggeriert, dass die Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) einen Ermessenspielraum und eine bestimmte Präferenz für eine Energieerzeugungsart hätten. Unterschwellig wird die Vorstellung transportiert, dass den “Erneuerbaren Energien” irgendwie Unrecht getan wird.
Tatsächlich sind die ÜNB – ganz im Gegensatz zu der von besagter Agentur bestens vertretenen Branche – verpflichtet, systemische Zusammenhänge zu beachten. Schließlich müssen die ÜNB die Netzstabilität gaewährleisten.
EEG-Strom genießt gesetzlichen Einspeisevorrang und eine Abnahmegarantie bei fixierten Preisen – ein solche krasse Priviligierung einer Branche ist im sonstigen Wirtschaftsgeschehen ohne Parallele. Mehr “Gutes” kann Herrn Vohrers Klientel staatlicherseits nicht getan werden – sofern man eine halbwegs sichere Stromversorgung haben möchte.
Der Plan hat dabei zwei Prämissen: Zum einen soll das Netz robust genug sein, um die schwankenden erneuerbaren Energien aufnehmen zu können und auch bei Defekten oder Unfällen die Stromversorgung sicherzustellen. Zum anderen soll es allen Energieerzeugern freien Zugang gewähren, die zudem laut EU-Vorgaben ihren Strom grenzüberschreitend handeln sollen – also auch Braunkohle. Entsprechend üppig fallen die Pläne zum Netzausbau aus.
Das Paradoxe an der Energiewende ist derzeit: Die schmutzige Braunkohle ist der billigste fossile Brennstoff, harmoniert aber gleichzeitig am schlechtesten mit den erneuerbaren Energien. Das könnte zum Problem werden: “Sobald der Verdacht besteht, dass der Netzausbau nicht mehr vorrangig der Energiewende dient, wird die Glaubwürdigkeit der Netzausbaupläne beschädigt” glaubt Vohrer.
Kommentar:
Was hier als “Paradox” beschrieben wird, ist weder ein neues, noch ein vorübergehendes Phänomen.
Bundesminister Altmaier bezeichnete dies als “Kollateralschaden” der Energiewende. Tatsächlich ist es aber kein Kollateralschaden, sondern das zentrale Ergebnis der “Energiewende-Politik”.
Dahinter steht der sogenannte Merit-Order-Effekt. Kurz gesagt: Der Einspeisevorrang des Zufallsstroms aus Windkraft und Photovoltaik sorgt dafür, dass – wenn der Wind weht, und die Sonne mal scheint – die Preise an der Strombörse phasenweise in den Keller gehen. Die dann zu den höchsten Grenzkosten produzierenden Kraftwerke werden als erstes aus dem Markt gedrängt. Die zu den geringsten Grenzkosten produzierenden Kraftwerke bleiben von dieser Verdrängung verschont. Im Ergebnis kommen die vergleichsweise sauberen Gaskraftwerke nicht auf genügend Betriebsstunden (siehe dazu auch Herrn Löscher im Handelsblatt) um rentabel betrieben werden zu können. Die Braunkohlekraftwerke werden relativ gesehen immer rentabler. Siehe auch die Erläuterung hier.
Abschließend eine Anmerkung zur “Agentur für Erneuerbare Energien”:
Die staatliche Finanzierung einer Kampagne, die dem alleinigen Zweck dient, die öffentliche Meinung zugunsten einer bestimmten Branche zu beeinflussen, halten wir für demokratietheoretisch mehr als fragwürdig. Zumal diese so begünstigte Branche nur dank staatlicher Päppelung und massiver Intervention in das Marktgeschen überlebensfähig ist.
Die Profiteure eines gemeinwohlschädlichen (so sinngemäß die Wirtschaftsweisen) Anreizsystems, die überhaupt nur aufgrund diese Anreizsystems existieren, erhalten von uns Allen finanzielle Unterstützung dabei, sich selbst und dieses Anreizsystem in möglichst gutes Licht zu rücken.
Nun ist der Energieerzeugungsbereich sehr stark von staatlichen Eingriffen geprägt – für eine Illustration dessen, was uns unangenehm auffällt, bietet sich daher der ebenfalls stark regulierte Markt für Arzneimittel an.
Auch hier genießen beispielsweise Apotheken immer noch gewisse Privilegien gegenüber anderen Lieferanten (bspw. Online-Versandhandel), die zunehmend in Frage gestellt werden. Ein mögliches Pendant zur Agentur für Erneuerbare Energien wäre eine Apotheken-Agentur, deren einziger Sinn und Zweck darin besteht, Lobbyarbeit für den Erhalt der Apothekenprivilegien zu betreiben.
Man stelle sich vor, die Apothekenumschau würde zu einer Agentur ausgebaut und immer wieder massiv davor warnen, dass Arzneimittel aus Nicht-Apotheken hohe Risiken bergen und zum qualvollen Tod führen können. Diese Apotheken-Agentur wäre dann anteilig vom Apothekenverband und aus Mitteln des Bundesgesundheitsministeriums finanzieren. Vermutlich würde das sehr schnell investigative Journalisten auf den Plan rufen.
Den Artikel ohne unsere Kommentare finden Sie hier.