Eine hochkarätige und politisch unverdächtige Studie entlarvt den süßen Traum der Energiewende als ökonomischen und ökologischen Albtraum. Doch was nicht sein darf, kann nicht sein.
von Fritz Vahrenholt, im Mai 2019 Die Forderungen nach dem Ausstieg aus Kohle, Kraftstoff und Erdgas werden immer schriller. Es fing an mit dem waghalsigen Vorschlag der Kohlekommission. Das vom Bundeskanzleramt zur Hälfte mit grünen Aktivisten besetzte Gremium will den Ausstieg aus der Kohle bis 2038. Es folgte die Forderung des einflussreichen grünen Spitzenpolitikers Robert Habeck und seiner Freunde nach dem Aus für den Verbrennungsmotor im Jahre 2030. Und als es im April vier Wochen lang überdurchschnittlich trocken war («Sehr schlimm!» – «Das hat es noch nie gegeben!»), rief die Abgeordnete Annalena Baerbock im Chor mit den Klimaaktivisten die Krise aus: Verdopplung des CO2-Preises und ein starkes Ordnungsrecht! Die streikenden Freitagskinder von Lummerland schreien nach einer CO2-Steuer von 180 Euro noch in diesem Jahr, «Treibhausemissionen auf netto null» bis 2035, alles «100 Prozent erneuerbar». Da lohnt es sich, die Studie des Akademieprojektes «Energiesysteme der Zukunft» der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften in die Hand zu nehmen. Die vom Bund finanzierte und von zwei Dutzend der besten Professoren Deutschlands verfasste Untersuchung setzt sich auf 163 Seiten mit der Umsetzbarkeit und den Kosten der sogenannten Energiewende auseinander. Die Erkenntnisse erscheinen deprimierend. Nachdenken verbotenMan könnte sich vorweg fragen, wieso der gesammelte technische Sachverstand unserer deutschen Akademien die Zukunft unserer Energieversorgung im Wesentlichen allein auf zwei Technologien (Windkraft und Fotovoltaik) stützen will. Offenbar verbietet es der Mainstream, über Alternativen – Kernfusion, inhärent sichere Kernenergie ohne langlebige Rückstände wie beim Dual Fluid Reaktor, CO2-freie Kohlenutzung (carbon sequestration) – auch nur nachzudenken. Vom Risiko der Alternativlosigkeit ist leider keine Rede. Es lohnt sich trotzdem in die Studie reinzuschauen, um zu erahnen, was uns bevorsteht. Es werden alle Sektoren (Strom, Verkehr und Wärme) zusammen betrachtet. Und siehe da: 80 Prozent des Energiebedarfs werden in Deutschland heute fossil gedeckt, 7,5 Prozent durch Kernkraft, 13 Prozent durch erneuerbare Energien. Wenn man bei den Erneuerbaren das Wasser und die Biomasse (einschließlich Biogas und Biosprit) abzieht, bleiben übrig: 1,5 Prozent der Primärenergie werden durch Windkraft erzeugt, 1 Prozent durch Fotovoltaik (Seite 10 der Studie). Zusammen ergibt das 2,5 Prozent Wind- und Sonnenenergie – wahrlich noch ein langer Weg bis zu 100 Prozent. Weiter ist da zu lesen: Wenn man den Weg einer Dekarbonisierung um 90 Prozent bis 2050 gehen will, dann «wird mit rund 1150 Terawattstunden sogar fast doppelt so viel Strom benötigt wie heute», weil Verkehr und Wärme elektrifiziert werden sollen. Da man sich nur auf Fotovoltaik und Windkraft versteift hat, kommt die Studie zum Schluss: «Die installierte Leistung an Windkraft und Fotovoltaik müsste in diesem Fall (bei gleichbleibendem Energieverbrauch) gegenüber heute versiebenfacht werden.» Wir haben heute in Deutschland rund 28.000 Windkraftanlagen mit einer Kapazität von 57 000 Megawatt (MW), bei der Fotovoltaik sind es 46.000 MW. Eine Versiebenfachung der Solaranlagen würde fast alle möglichen Dachfassaden und andere Siedlungsflächen erfassen. Eine Versiebenfachung bei der Windenergie würde selbst bei Verdopplung der Kapazität der einzelnen Generatoren die deutsche Landschaft radikal verändern. Verteilt in einem Netz übers ganze Land, käme alle 1,5 Kilometer eine 200 Meter hohe Windmühle zu stehen. Man sollte sich das plastisch vorstellen. Der süße Traum der sanften Wende entpuppt sich bei genauer Betrachtung als ökologischer Albtraum. Weiter lässt die Studie auch wirtschaftliche und soziale Abgründe erahnen, auf die wir frohen Mutes zusteuern. «Die Dominanz der fluktuierenden erneuerbaren Energien erfordert eine hohe Flexibilität auf der Stromerzeugungsseite und der Verbrauchsseite», ist in der Studie zu lesen. Im Klartext: Wenn Wind und Sonne, je nach den Launen der Witterung, gerade keine Energie liefern, muss der zivilisierte Mensch zwischendurch halt mal auf Energie verzichten. Doch nicht einmal in ihrem Idealszenarium kommt die schöne neue Welt der dezentralen Energieerzeugung ganz ohne zentrale Großkraftwerke aus. Die Studie schätzt, dass es bis zu 100.000 MW aus Großkraftwerken braucht – natürlich auf der Basis von Biogas, synthetischem Methan oder Wasserstoff –, um das Netz stabil zu halten und kurzfristige Zusammenbrüche zu verhindern. Zum Vergleich: Die heutige Kapazität von Großkraftwerken beträgt rund 90.000 MW. Licht oder Wärme, das ist die FrageEbenfalls ernüchternd ist die Erkenntnis, dass Batterien nur als Kurzzeitspeicher dienen können. Voraussetzung für Langzeitspeicher wäre die erfolgreiche Entwicklung von «Power-to-Gas», also die Umwandlung von Windstrom per Elektrolyse in Wasserstoff oder gar Methan. Das ist zwar heute noch absurd teuer, aber wir werden das schon schaffen, vielleicht, irgendwann und irgendwie. Allerdings, so warnen die Autoren, könnte es trotz allem in Tagen der kalten Dunkelflaute (keine Sonne und kein Wind im Winter) zu Konflikten kommen zwischen «Power-to-Heat» (Wärme auf Windstrombasis) und dem konventionellen Strombedarf. Will sagen: Licht oder warme Heizung, das ist dann die Frage. Das Auto bleibt bei der Dunkelflaute sowieso zu Hause stehen. Die Autoren korrigieren nicht zuletzt auch die weithin verbreitete Illusion, nach der Autobatterien als Stromspeicher genutzt werden könnten: «Die Pufferkapazität der Elektroflotte liegt im Bereich von einigen Stunden» (Seite 57 der Studie). Der Ausgleich der Launen der Witterung hängt zudem davon ab, ob die «Autobesitzer bereit sein werden, ihre Batterien dem System zur Verfügung zu stellen». Schlimmstenfalls könnte das zeitgleiche Laden vieler Autobatterien zu bestimmten Tageszeiten zu einer zusätzlichen Belastung für das Stromnetz werden. Es ist allerdings zu befürchten, dass die Deutschen auch in grüner Zukunft selber bestimmen möchten, wann sie fahren wollen und wann nicht. In Anbetracht all der Straßen in den Städten, die man für teures Geld aufgerissen hat, um dem Bedarf nach «Ausbau der Verteilnetze» Rechnung zu tragen, ist der Bürger womöglich nicht zu weiteren Opfern bereit. Und gratis ist die schöne neue Welt von Greta, Annalena und Robert leider auch nicht zu haben. Hier kann einem beim Blick in den Abgrund richtig schwindlig werden. Die Autoren setzen 60 Prozent CO2-Minderung voraus, die ja bis 2030 erreicht werden soll (Seite 116 der Studie, Grafik 35). Das heutige Energieversorgungssystem kostet pro Jahr 250 Milliarden Euro. Will man das CO2-Zwischenziel in den nächsten zehn Jahren erreichen, kostet das 1500 Milliarden zusätzlich. Bei einer Erhöhung auf 75 Prozent CO2-Minderung rechnen die Autoren mit weiteren 800 Milliarden, bei einer solchen auf 85 Prozent mit weiteren 1000 Milliarden. Für die Steigerung von 85 auf 90 Prozent CO2-Minderung bis ins Jahr 2050 wären noch weitere 1300 Milliarden fällig. Alles zusammen ergäbe dann das hübsche Sümmchen von 4600 Milliarden Euro. Klumpenrisiko mit Wind und Sonne4600 Milliarden Euro müssten die deutschen Haushalte also ausgeben, um 800 Millionen Tonnen CO2 zu vermeiden. Dies ist die Menge an CO2, die China jedes Jahr zusätzlich ausstößt. Damit die Eltern der streikenden Kinder von «Fridays for Future» die 4600 Milliarden richtig verstehen: Das sind während dreißig Jahren für jeden deutschen Haushalt Monat für Monat 320 Euro – zusätzlich, notabene. Und wenn es nach Greta und ihren Followern geht, die 100 Prozent Erneuerbare innerhalb von fünfzehn Jahren fordern, dann wären das monatlich 640 Euro – immer vorausgesetzt, dass die deutsche Energieversorgung und damit auch die Wirtschaft nicht vorher zusammenbricht. Zur Erinnerung: Zieht man diese 640 Euro von einem deutschen Durchschnittsverdienst (1890 Euro netto pro Monat) ab, müssten Heerscharen von Deutschen unter oder nahe der Armutsgrenze (60 Prozent des Durchschnittsnettoeinkommens) leben. Dabei kommt Deutschland nicht einmal mit dem mittelfristigen Umbau der Stromversorgung klar. Die Bundesnetzagentur warnt, dass bis ins Jahr 2022 eine Reservekapazität von 10 000 Megawatt (was zehn Kernkraftwerken entspricht) aufgebaut werden muss. Statt das absehbare Stromproblem zu lösen, weiten wir es auf Wärme und Mobilität aus. Diese drei Sektoren, die bislang von verschiedenen Energieträgern (Kohle, Erdgas, Erdöl, Kernenergie) geprägt waren, sollen im Wesentlichen von einem einzigen Energieträger abhängig gemacht werden: Strom, gespeist aus Wind und Sonne. In der Privatwirtschaft würde man von einem verantwortungslosen Klumpenrisiko reden. Wind und Sonne entscheiden, wann wir unser Auto bewegen können, wie viel Wärme wir im Winter nutzen dürfen und wann das Licht angeschaltet werden kann. Das nennt man einen nachhaltigen Kurzschluss. |
Die Studie «Energiesysteme der Zukunft» kann hier heruntergeladen werden.
Prof. Dr. Fritz Vahrenholt hat in Chemie promoviert und ist Honorarprofessor an der Universität Hamburg. Als Vertreter der SPD war er Umweltsenator in Hamburg (1991 bis 1997). Unter Bundeskanzler Gerhard Schröder war er auch als Berater für Energiefragen auf Bundesebene tätig.
Der Beitrag erschien zuerst in der schweizerischen Zeitschrift WELTWOCHE.