Die Ein- bzw. Ausreise ins Hessenland bei der Gemarkung Ellerode zwischen dem Dreieck Drammetal und der Ausfahrt Hann. Münden/ Hedemünden ist sehr reizvoll. Wenn man von Norden kommt, steigt die Strecke nach längerer Fahrt durchs flache Land allmählich an. Bei der Gemarkung Ellerode passieren Reisende dann eine markante Kuppe.
Plötzlich öffnet sich die Landschaft: Ein wunderbarer Blick über den Kaufunger Wald – entlang der Bergzüge des Bilsteins, bis hin zum hohen Meißner – bietet sich dem Betrachter.
Das Werratal gibt einen ersten, deutlichen Vorgeschmack auf seine landschaftlichen Reize. Bei gutem Wetter kann man ca. 60 km weit eine grüne Berg- und Hügelkette überblicken. Wer von Norddeutschland oder Nordeuropa nach Süden in den Urlaub reist, merkt genau hier, dass Arbeit und Alltag hinter und die Ferien vor ihm liegen.
Wer im Werratal beheimatet ist und von wo auch immer über diese Passage nach Hause kommt, dem öffnet sich hier nicht nur der Blick, sondern gleichsam das Herz.
Nähert man sich von Süden, ist das Panorama ebenso reizvoll. Zunächst kann man den Verlauf der Werra weithin verfolgen, dann plötzlich, hoch am Berg thronend, das Schloss Berlepsch erspähen.
Schloss Berlepsch
Jene niedlich kleine, aber ob ihrer Lage doch imposante Burganlage wurde 2012 zum schönsten Schloss Hessens gewählt. Ein zauberhaftes Zeugnis mittelalterlicher Baukunst und Kultur inmitten herrlicher Landschaft. Nachdem dieses Schloss mehrere Jahrzehnte der Öffentlichkeit verschlossen war und mangels Erhaltungsinvestitionen zusehends verfiel, kehrte der inzwischen zum Eigentümer gewordene Graf Fabian von Berlepsch vor ein paar Jahren aus dem Exil zurück.
Mit großem Einsatz hat er das auf dem Weg zur Ruine befindliche Anwesen aus seinem Dornröschenschlaf erweckt und an die gastronomische Tradition aus früheren Zeiten angeknüpft. Mittlerweile kann man auf Schloss Berlepsch gehoben und rustikal speisen, mittelalterliche Feste feiern, in herrschaftlichem Ambiente des Schlossgartens Klassikkonzerten lauschen und – vor allem – vom Schlossturm aus einen großartigen Rundumblick über die Landschaft des Werratals genießen.
„Diese Landschaft ist herrlich. Sie steht dem Schwarzwald in nichts nach“
so schwärmte sinngemäß Herr von Berlepsch, auf seinem Turm stehend, noch 2010 in einer Fernseh-Reportage des hessischen Rundfunks.
Mit dieser Herrlichkeit wird es bald vorbei sein
Denn derselbe Herr von Berlepsch wird genau an der beschriebenen Stelle, auf den Feldern um das Gut Ellerode herum, die mit 200 m Gesamthöhe höchsten derzeit verfügbaren Windindustrieanlagen errichten lassen. Die Postkartenidylle, die bis dato sicherlich mehrere Millionen Menschen genossen und die so manchen Besucher ins Werratal gelockt hat, wird Vergangenheit sein.
Graf von Berlepsch selbst erklärte am 20. Juni 2012:
„Ja, die Landschaft wird durch mein Projekt verschandelt, das muss ich zugeben“.
Der Panoramablick von seinem Turm wird nur um rund 60 Grad eingeschränkt sein.
Der Charme des unteren Werratals wird jedoch weithin zerstört. Denn die 200m hohen Anlagen werden aus bis zu 40 Km Entfernung sichtbar sein und weithin das Landschaftsbild entstellen. Mit der einzigartigen Harmonie wird es vorbei sein.
Vordergründig rechtfertigt Herr von Berlepsch sein Projekt als Beitrag zur ökologischeren Energieversorgung und zum Klimaschutz. Die einzige rationale Motivation ist jedoch das private Gewinninteresse. Dass sich dieses Projekt für Herrn von Berlepsch kurzfristig lohnt, liegt an einer besonderen Absurdität innerhalb eines ohnehin absurden Förderregimes: Die Subventionen des Erneuerbare Energien Gesetzes (EEG) sehen für von der Windhöffigkeit her besonders ungünstige Standorte wie diesen besonders hohe Zahlungen vor.
Die Wirtschaftsweisen haben dieses Förderregime mehrfach kritisiert und dessen radikale Umgestaltung bzw. Abschaffung gefordert. Wir finden das Projekt des Herrn von Berlepsch ist ökologisch und ökonomisch unvernünftig.
In besagtem Gebiet ist der seltene Rotmilan beheimatet.
Dieser majestätische Greifvogel ist laut FFH-Richtlinie besonders schützenswert. Windkraftanlagen gefährden bereits ganze Populationen in ihrem Bestand.
Ein erster Anlauf zur Errichtung von Windindustrieanlagen ist 2007 an diesem klaren Widerspruch zu den Belangen des Arten- bzw. Naturschutzes gescheitert.
Der rote Milan ist immer noch dort beheimatet.
Nach Fukushima und der vermeintlichen Notwendigkeit, im Eiltempo und mit aller Gewalt Windindustrieanlagen in die Welt zu stellen, spielt er offenbar keine Rolle mehr.
Vielleicht hofft man auch darauf, dass der seltene Vogel die Zeichen der Zeit erkennt und sein Revier zugunsten des vermeintlichen Klimaschutzes freiwillig verlässt?
Noch kreist er in weiten Schwüngen über den Bergen des Werratals. Gegenüber Störungen, wie Baumfällungen in der Nähe seiner Brutplätze, ist der seltene Vogel aber sehr empfindlich. Im Wald, der das Schloss umgibt, sind zuletzt umfangreiche Fällungen durchgeführt worden. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Die Stärken des Werra-Meißner-Kreises werden durch das Projekt massiv geschwächt.
Im März 2012 wurde der Werra-Meißner Kreis, in dem das prospektive Windkraftschloss Berlepsch ansässig ist, aufgrund seiner besonders schützenswerten Kulturlandschaft vom Bundesumweltministerium zu einem von bundesweit 30 Hot-Spots der biologischen Vielfalt gekürt. Der seinerzeitige Umweltminister Dr. Norbert Röttgen erklärte:
Das Hotspot-Programm des Bundesumweltministeriums sieht zur Erhaltung dieses Naturschatzes umfangreiche Fördergelder vor.
Anstatt sich über die Auszeichnung als Hotspot zu freuen und diese offensiv zu vermarkten, sind die lokalen Politiker allerdings mehrheitlich dafür, den Kreis durch Aufstellung von Windindustrieanlagen auf unter Normaltemperatur herunter zu kühlen.
Das Windkraft-Schloss Berlepsch droht dem frisch gekürten Hotspot den ersten Kälteschock zu bescheren. Dabei ist der sanfte Naturtourismus eine der Lebensadern der Region.
Menschen aus aller Welt kommen als Radwanderer, Wanderer, Kanuten und Erholungssuchende hierher.
Nicht um Windindustrieanlagen zu sehen, sondern der schönen Landschaft wegen.
In ihrer Studie vom Juni 2012 zur wirtschaftlichen Standortqualität hat die IHK Kassel die Schönheit der Landschaft zwischen Werra und Meißner als zentralen Standortvorteil des gleichnamigen Landkreises herausgestellt.
Das Standortmarketing stellt vollkommen zu Recht auf den besonderen landschaftlichen Charme dieser Gegend ab.
So erfährt der Besucher der Internetseite des Werratals, dass dort „eine unverfälschte Mittelgebirgslandschaft, geprägt von Bergen, Hügeln, viel Wald und Wasser“ zu erleben ist, dass Wandern für „Erholung in unberührter Natur“ sorgt und dass die vom Deutschen Wanderinstitut ausgezeichneten Premiumwege „immer wieder atemberaubende Ausblicke“ bieten.
Die Wirtschaftsförderung wirbt auf gleich drei Sprachen (deutsch, englisch und niederländisch) mit den Argumenten Ruhe, Natur, Landschaft und Lebensqualität und entsprechenden Bildern für den Zuzug in den Kreis.
Kurz: Die Landschaft ist das Kapital der Region.
Es wird mit der Umsetzung von Projekten wie diesem entwertet. Es ist zu erwarten, dass Ellerode/Berlepsch noch weitere Fehlinvestitionen dieser Art folgen werden. Denn in Nordhessen will man 800‑1000 Windräder aufstellen. Und in Witzenhausen möchte man da nicht hinten anstehen.
Was Herr von Berlepsch plant, läuft darauf hinaus, für seinen persönlichen Profit die sein Anwesen umgebenden Gemeinden nachhaltig zu schädigen.
Der potentielle Tages- und Wochenendausflügler wird nun, da er die Landschaft nicht mehr als einladend wahrnimmt, tendenziell nicht mehr von der Autobahn abfahren und nicht mehr in Witzenhausen, Bad-Sooden-Allendorf oder auf dem hohen Meißner einkehren und übernachten. Und er wird auch keine unvergesslichen Erfahrungen mit wunderbaren Ausblicken mehr machen, von denen er anderen erzählen kann.
Um die finanziellen Engpässe des Herrn von Berlepsch zu beheben, ist man in Witzenhausen geneigt, diese Landschaft, das Kapital der Region, zu opfern. Im Mittelalter war dies ein normaler Vorgang. Wenn Feudalherren in den Krieg zogen und geschlagen und verarmt zurückkehrten, mussten die Untertanen eben stärker ausgebeutet werden.
In dieser eigenartigen Neuzeit sind die ehemaligen Untertanen offenbar mehrheitlich bereit, einem charismatischen Grafen ihr Kapital freiwillig hinterher zu werfen.
Seltsam.
Zumal Vorgänge in anderen Teilen desselben Landstrichs zeigen, das Vernunftbürger tatsächlich viel bewegen können.
Vielleicht freut sich Herr von Berlepsch über Ihre Anregungen und Hinweise. Vielleicht merkt er rechtzeitig, dass sein Schloss ohne die Anlagen viel schöner und touristisch attraktiver ist und dass seine Klassik-Open-Air-Konzerte mehr Gehör und Interesse finden, wenn sie nicht durch Rotorengeräusche gestört werden.
Ergänzung:
Der in diesem absolut treffenden Artikel aus der FAZ geprägte Begriff des Subventionsritters trifft unseres Erachtens nirgendwo besser als in diesem Kontext.
Neben Subventionsrittern gibt es natürlich sehr viele wahrlich ritterliche Adelige, die auf die Teilnahme am Subventionswettlauf zu Lasten der Allgemeinheit – trotz wiederholter Angebote seitens windiger Projektierer – bewusst verzichten. Diese edlen Rittern der Vernunft gebührt unser größter Respekt. Stellvertretend für Viele seien an dieser Stelle die Eigentümer von Schloss Braunfels genannt. Der Erhalt und die Pflege dieser wunderschönen Anlage
beruht nicht auf einer Schädigung von Mensch und Natur.