Seit Bekanntwerden des Vertrags zur Bildung einer sogenannten “Ampel-Koalition” sind am 3. Dezember 2021 schon einige Tage vergangen. Bereits beim ersten Überfliegen der 178 Seiten riefen einige Passagen unser ungläubiges Entsetzen hervor. Der massive Einfluss der Windkraftlobby war für Kenner der Materie und der einschlägigen Textbausteine offensichtlich.
Besonders deutlich wird die Orientierung an deren Partikularinteressen dadurch, dass den “erneuerbaren” Energien nun erneut eine Bedeutung für die öffentliche Sicherheit angedichtet werden soll. Das Vorhaben, das zur Jahreswende 2019/20 noch erfolgreich abgewendet wurde, soll somit nun doch zur Umsetzung kommen, der Treppenwitz zur Ampel-Doktrin werden.
Aber auch weitere Vereinbarungen zeugen davon, dass Olaf Lies und Gleichgesinnte sich vollumfänglich durchgesetzt haben. Wir hatten uns über diverse Kanäle an der politischen Willensbildung beteiligt und uns nach Kräften – mit offenen und persönlichen Briefen und Gesprächen – in die Verhandlungen eingebracht. Gegen die Übermacht der direkt mit verhandelnden Phalanx aus Windkraft-Apologeten waren diese Bemühungen – bezogen auf den Koalitionsvertrag – leider erfolglos. Letzteren kommentierte RA Armin Brauns zunächst für unsere Mitglieder:
Erste Reaktion auf Koalitionsvertrag zum Thema Windenergie von RA Armin Brauns Bereits bei erster Durchsicht des Koalitionsvertrages fällt eindeutig auf, dass zum Thema Windenergie einzig und allein die Partei Bündnis 90/GRÜNE das Sagen hatte. Offensichtlich haben die Koalitionspartner SPD und FDP den GRÜNEN gegen Zugeständnisse in anderen Bereichen und Positionen das Feld allein überlassen. Es ist davon auszugehen, dass bereits jetzt die radikalen Änderungspläne in Sachen Windkraft in den Schubladen der GRÜNEN bereit liegen, um schnellstens umgesetzt zu werden. Dies zeigt sich schon aus einer Nachrichtenmeldung des Bayerischen Rundfunks am Samstag den 27.11.2021 um 16:00 Uhr. Herr Habeck kündigt an, als erstes die 10-H-Regelung in Bayern aufzuheben bzw. zu beseitigen. Nachfolgend soll aufgezeigt werden, welche Maßnahmen der Koalitionsvertrag in Sachen Windkraft vorsieht. Seite 14: „Für unsere gemeinsame Mission, die Planung von Infrastrukturprojekten, insbesondere den Ausbau der Erneuerbaren Energien drastisch zu beschleunigen, wollen wir das Verhältnis von Klimaschutz und Artenschutz klären. Zur Erreichung der Klimaziele liegt die Errichtung von Anlagen zur Erzeugung oder zum Transport von Strom aus Erneuerbaren Energien sowie der Ausbau elektrifizierter Bahntrassen im öffentlichen Interesse und dient der öffentlichen Sicherheit. Dies werden wir gesetzlich festschreiben und für solche Projekte unter gewissen Voraussetzungen eine Regelvermutung für das Vorliegen der Ausnahmevoraussetzungen des Bundesnaturschutzgesetzes schaffen. Wir werden uns für eine stärkere Ausrichtung auf den Populationsschutz, eine Klärung des Verhältnisses von Arten- und Klimaschutz sowie mehr Standardisierung und Rechtssicherheit, auch im Unionsrecht, einsetzen.“ Vor nicht allzu langer Zeit wurde bereits der Versuch unternommen, die Errichtung von Windkraftanlagen als Maßnahmen öffentlicher Sicherheit zu qualifizieren. Damit soll erreicht werden, dass im Wege der Abwägung entgegenstehender naturschutzrechtlicher Belange die Windkraftanlagen stets die Oberhand gewinnen. Natur- und Artenschutz aber auch Schutz der Anwohner bleiben damit auf der Strecke. Ab Seite 36: Laut Koalitionsvertrag soll der Erhalt der Artenvielfalt als Menschheitsaufgabe und ethische Verpflichtung gelten. Der Naturschutz soll gestärkt werden. Es wird betont, dass das europäische Naturschutzrecht 1‑zu‑1 umgesetzt wird. Gleichzeitig wird aber an anderer Stelle ausgeführt, dass entgegen der europäischen Richtlinien künftig die Populationsgefährdung eingeführt werden soll statt der derzeit geltenden Gefährdung des Individuums. Dies eröffnet den Weg, durch Ausnahmen Windkraftanlagen trotz entgegenstehender naturschutz-rechtlicher Belange zu genehmigen und zu errichten. Es wird zwar beteuert, die Energiewende naturverträglich zu gestalten. Auf Seite 55/56 wird aber ausgeführt: „Wir machen es zu unserer gemeinsamen Mission, den Ausbau der Erneuerbaren Energien drastisch zu beschleunigen und alle Hürden und Hemmnisse aus dem Weg zu räumen.“ Dies zeigt eindeutig, mit welcher hemmungslosen Entschlossenheit ans Werk gegangen werden soll, den Artenschutz und Naturschutz in Zusammenhang mit Windkraftanlagen „aus dem Weg zu räumen“. Ebenfalls Seite 55: „Wir setzen uns dafür ein, dass die Zulassungsbehörden durch den Einsatz externer Projektteams wirksam entlastet werden. Der zeitliche Beginn der gesetzlichen Genehmigungsfristen soll durch klare Anforderungen an die Antragsunterlagen gesichert werden. Auch soll eine Klarstellung der Umsetzungsfristen für Genehmigungen vorgenommen werden.“ Die „Entlastung der Zulassungsbehörden durch externe Projektteams“ bedeutet nichts anderes, als massive Einflussnahme auf die Zulassungsbehörden durch projektantengesteuerte oder ministeriell gesteuerte Einrichtungen. Dies stellt keine Entlastung der Zulassungsbehörden dar, sondern eine gesteuerte und aus hiesiger Sicht rechtswidrige Einflussnahme und Entmachtung der Zulassungsbehörden. Ab Seite 56: Beabsichtigt ist die zwingende Ausweisung von 2 % der Landesfläche für Windenergie. Hierbei bleibt völlig unberücksichtigt, dass in den 16 Bundesländern zum einen unterschiedliche Windverhältnisse herrschen und zum anderen dieses Potenzial nur dann erreicht werden kann, wenn die Rechte betroffener Anwohner, Naturschutz und Artenschutz zurückgedrängt und unbeachtet bleiben. „Wo bereits Windparks stehen, muss es ohne großen Genehmigungsaufwand möglich sein, alte Windenergieanlagen durch neue zu ersetzen. Den Konflikt zwischen Windkraftausbau und Artenschutz wollen wir durch innovative technische Vermeidungsmaßnahmen entschärfen, u. a. durch Antikollisionssysteme. Wir wollen die Abstände zu Drehfunkfeuern und Wetterradaren kurzfristig reduzieren. Bei der Ausweisung von Tiefflugkorridoren soll der Windenergieausbau verstärkt berücksichtigt werden.“ Auch hier zeigt sich die hemmungslose Strategie zur Durchsetzung von Windkraftanlagen um jeden Preis. Das sog. Repowering wird „ohne großen Genehmigungsaufwand“, also vorbei an Bürgern, Anwohnern und Naturschutz erzwungen. Durch einfachen Antrag sollen Windkraftanlagen mit einer bisherigen Höhe von 100 oder 120 m durch solche mit 250 m Höhe und darüber hinaus ohne Genehmigungsverfahren ersetzt werden. Hierbei wird sogar in Kauf genommen, dass die Sicherheitsfunktionen der Drehfunkfeuer und Wetterradare „kurzfristig“ ausgeschaltet und aufgegeben werden. Dies kann und wird zu Katastrophen im Flugverkehr aber auch bei der Erkennung von Wetterkatastrophen enormen Ausmaßes führen. Dies ist nur ein Abriss aus der Koalitionsvereinbarung. Zusammenfassend ist festzustellen, dass wir es mit einem Generalangriff auf sämtliche naturschutzrechtlichen und landschaftsschutzrechtlichen Belange zu tun haben, der mit einiger Sicherheit unmittelbar nach der Regierungsbildung seinen Anfang nimmt. Die vollmundigen Ankündigungen im Koalitionsvertrag müssen sich aber an der Rechtsordnung messen lassen. Dies gilt sowohl für die deutsche Gesetzgebung und Rechtsprechung aber auch für die Vorgaben der EU und insbesondere deren Richtlinien. Den anerkannten Naturschutzverbänden bzw. Umweltschutzverbänden kommt diesbezüglich eine besondere Bedeutung zu. Diese haben die Möglichkeit, wie auch bisher Verletzungen des Naturschutzrechts und Umweltschutzrechts vor deutschen Gerichten aber auch vor dem Europäischen Gerichtshof zu rügen. Dies gilt insbesondere auch im Hinblick auf die geplanten Gesetzesänderungen zulasten der Natur, der Landschaft und der Umwelt. Es ist bereits jetzt abzusehen, dass diese im Koalitionsvertrag angekündigten Gesetzesänderungen gegen europäische Vorgaben verstoßen. Diesbezüglich eröffnet sich der direkte Gang zum Europäischen Gerichtshof. |
Auch einige Medien erkannten bereits die krassen Implikationen der Vereinbarungen.
Dass sich die Ampel-Akteure mit ihrer Vereinbarung auf europarechtlich sehr dünnes Eis begeben würden, hatten wir ihnen mehrfach und substantiiert dargelegt. Des trotzdem veröffentlichten Vertragswerks hat sich die renommierte Karlsruher Kanzlei Caemmerer/Lenz heute mit einem Kurzgutachten angenommen. Unsere Hinweise werden darin bestätigt:
- Es ist sowohl aus Gründen der Autonomie des Unionsrechts, als auch aufgrund der Rechtsprechung des EuGH zum Begriff „öffentlichen Sicherheit” nicht mit dem Umweltrecht der Europäischen Union zu vereinbaren, wenn die Bundesrepublik Deutschland diesen unionsrechtlichen Begriff eigenständig als Regelvermutung so, wie im Koalitionsvertrag geregelt, definiert.
- Die im Koalitionsvertrag beabsichtigte stärkere Ausrichtung auf den Populationsschutz ist nicht nur mit der Rechtsprechung des EuGH unvereinbar, sie lässt sich auch mit dem Green Deal bzw. mit der Biodiversitätsstrategie der Europäischen Union nicht in Übereinstimmung bringen, da sie gegenläufig ist.
- Wenn die Bundesrepublik Deutschland abweichend vom Umweltrecht der Europäischen Union eine eigene Schutzgüterabwägung dergestalt vornimmt, dass eine (wenn auch zeitlich begrenzte) Vorrangregelung zulasten des in der Europäischen Union geltenden Umweltrechts getroffen wird, ist das mit dem Unionsrecht nicht vereinbar und konterkariert zudem die Biodiversitätsstrategie der Europäischen Union.
Das vollständige Kurzgutachten finden Sie hier:
VERNUNFTKRAFT. dankt der Naturschutzinitiative für die Beauftragung der Expertise.
Wir werden uns weiterhin beharrlich dafür einsetzen, dass der Bruch des europäischen Naturschutzrechts vereitelt und das Schlimmste verhindert wird. Auch unter erschwerten politischen Bedingungen. Wir machen weiter – bis zum guten Ende.