Im manager magazin vom 20. Juni 2013 findet sich auf den Seiten 92 bis 96 eine hervorragende Darstellung der Verwerfungen auf dem europäischen Energiemarkt die der deutsche Alleingang in Sachen “Ökostrom”-Förderung verursacht. Wir empfehlen den Erwerb der Ausgabe. Eine auszugsweise Wiedergabe der treffenden Schilderungen von Frau Eva Müller möchten wir Ihnen nicht vorenthalten.
In kursiv und grün unterlegt finden Sie direkte Zitate, grau unterlegt finden Sie indirekte Wiedergaben und in kleinerer Schrift unsere Erläuterungen.
ENERGIEWENDE
Deutschland betreibt den Umstieg auf grünen Strom ohne Rücksicht auf die Nachbarländer. Jetzt wehren sich Polen, Tschechien & Co. Ein Bericht aus der Kampfzone.
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Eine Stunde Bahnfahrt östlich von Berlin reihen sich adrette Häuschen unter mächtigen Alleebäumen aneinander. (…)
Hinter einem streng bewachten Zaun fechten die Mitarbeiter in der Leitstelle des Netzbetreibers 50Hertz eine nervenaufreibende Konfrontation aus: Ökostrom von der deutschen Küste verdrängt im polnischen Netz die Elektrizität aus den dortigen Kohlekraftwerken.
Das mag, oberflächlich betrachtet, nach europäischer Energiepolitik aussehen. In Wirklichkeit entlädt sich hier ein ernster zwischenstaatlicher Konflikt.
Hoch konzentriert beobachten die Stromwächter (…) die aktuellen Stromflüsse zwischen Ostsee und Thüringer Wald, zwischen den neuen Bundesländern und ihren Anrainerstaaten. An Computerterminals ringen sie permanent um die Aufrechterhaltung des sensiblen Gleichgewichts der Stromflüsse.
Pumpen bei steifer Brise zum Beispiel die Windräder in Mecklenburg-Vorpommern zu viel Watt in die Leitungen, schwappen diese Mengen ungeplant ins Nachbarland Polen hinüber. Dort überlasten sie das ohnehin fragile Hochspannungsnetz.
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Der Chef des polnischen Netzbetreibers PSE fürchtet um die Sicherheit der Stromversorgung seines Landes. Deshalb hat er bereits damit gedroht, die Leitungen zwischen Deutschland und Polen zu blockieren.
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Auch in Tschechien, der Slowakei und in Ungarn überrolle deutscher Windstrom das Elektrizitätsnetz und störe dessen empfindliches Gleichgewicht. Die technisch höher gerüsteten Niederlande, Belgien und Frankreich ärgerten sich ebenfalls über den energiepolitischen Alleingang Deutschlands: Die rasch wachsenden Volumina an fluktuierendem Ökostrom drohten das gesamte Übertragungsnetz Europas zu destabilisieren. Mit jedem Megawatt aus Wind und Sonne, das in Deutschland mehr erzeugt wird, sähen sich die Nachbarländer einem steigendem Blackout-Risiko ausgesetzt.
Unter der Zwischenüberschrift
Politik kontra Physik
werden die politischen Auswirkungen beschrieben.
Unter der Hand beklage man in Brüssel, dass Deutschland den anderen europäischen Staaten die Lasten seiner Energiewende aufbürde. Dabei sei diese ohne den europäischen Binnenmarkt überhaupt nicht möglich. Nur weil Deutschland im Bedarfsfall – wenn bei Flaute und Wolken deutsche Windräder und Solarzellen zu wenig Strom erzeugen – im Ausland zukaufen könne, bliebe die Energieversorgung in Deutschland trotz Atomausstieg immer stabil.
Aus diesem Grund forderten die EU-Strategen mindestens inoffiziell, dass sich Deutschland in der Energiepolitik besser mit den anderen EU-Staaten koordinieren möge. Im Sommer werde über die Subventionsrichtlinien der Gemeinschaft beraten – damit stünde möglicherweise auch das Einspeisegesetz (EEG) zur Debatte.
Mit ihrem einzelgängerischen Vorpreschen in der Energiepolitik habe sich die Bundesregierung neue Gegner geschaffen. Deutschlands Nachbarn seien zunehmend irritiert.
Dank der Umlage des EEG wachse der Anteil von regenerativen Energiequellen an der deutschen Stromerzeugung rasant. Besonders im Norden der Republik würden fast schon im Tagesrhythmus Windkraftanlagen errichtet. In zehn Jahren sollten sie nach den Plänen der Bundesländer in Schleswig-Holstein 16 Gigawatt erzeugen, in Niedersachsen 26 und in Mecklenburg-Vorpommern 11 – zusammen mehr als die Gesamtleistung aller Atomkraftwerke in Deutschland.
So weit, so politisch gewollt. Doch schon heute erzeugen die drei Nordländer an böigen Tagen mehr ökologisch korrekte Elektrizität, als sie benötigen. Der Export des Grünstrom, der laut EEG ins Netz eingespeist werden muss, in die großen Verbrauchszentren in Nordrhein- Westfalen, Hessen, Bayern oder Baden- Württemberg indes funktioniert nur eingeschränkt. Es fehlt an Übertragungskapazitäten von Nord nach Süd. Schließlich ist das in den 50er und 60er Jahren errichtete Energiesystem darauf ausgelegt, dass Riesenkraftwerke nahe bei den Industriezentren stehen.
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Ist Strom aber einmal erzeugt, muss er auch wieder verbraucht werden – so wollen es die Naturgesetze. Auf dem Weg von der Quelle zum Abnehmer suchen sich die Elektronen deshalb jeden verfügbaren Weg. Geht auf den deutschen Trassen nichts mehr, dann nehmen sie eben den Umweg über Polen, Tschechien, die Slowakei oder Ungarn, um dann über Österreich am Ende in den Fabrikhallen von BMW, Daimler oder Audi zu landen, von denen sie eingekauft wurden.
Mit dem Eingangszitat “Elektrizität folgt der Physik und nicht der Politik” des Präsidenten des Verbandes der Europäischen Netzbetreiber Entsoe wird der Zusammenhang der europäischen Ringflüsse näher erläutert. Mehrere für die Netzstabilität in Europa sehr bedrohliche Situtionen werden beschrieben. Diese würden sich aufgrund des unkontrolliert fluktuierenden deutschen „Ökostroms“ zunehmend häufen.
Noch habe die Invasion der deutschen Windenergie in Europas Netzen nicht zum Totalzusammenbruch geführt. Jedoch müssten sich die Netzbetreiber um ein Vielfaches stärker anstrengen um Blackouts zu vermeiden.
Sicherheitsmargen in den Kontrollstellen würden oft bis an den Rand ausgereizt. Eine Dauerbelastung der Systeme sei brandgefährlich für die Versorgung einer der wichtigsten Wirtschaftsregionen der Welt. Und sie koste die Netzbetreiber auch viel Geld.
Um die Spannung auf ihren Trassen immer konstant bei 50 Hertz zu halten, müssten die Leitzentren an der Ausweichstrecke von Nord nach Süd immer wieder Eingriffe vornehmen. Diese Eingriffe müssten ebenso [letztlich von den Stromkunden] bezahlt werden wie der steigende Wartungsbedarf und der höhere Verschleiß der Anlagen.
Im Folgenden wird die Situation in Österreich beschrieben. Aufgrund der dort wegen günstiger Topografie weit verbreiteten Pumpspeicherkraftwerke kommt Österreich innerhalb des europäischen Verbundsystems die Schlüsselrolle als Flexibilitätspuffer zu.
Blitzschnelle Aktionen sind eine – lukrative – Spezialität der Alpenländer. Mit ihren Pumpspeicherkraftwerken in den Bergen können sie innerhalb von 90 Sekunden einspringen. Dennoch wettert der Verbund-Chef gegen die vielen Interventionen: “Statt einmal alle drei Tage müssen wir heute dreimal am Tag agieren – nur wegen der Skurrilitäten der deutschen Energiewende. Das macht die Stromversorgung nicht sicherer.
Der österreichische Strommanager sei nun gezwungen, sein modernstes Gaskraftwerk in der Steiermark abzuschalten. Stattdessen müsse er die Uraltanlage daneben mit Schweröl hochheizen. Mit den Worten “Das ist doch Planwirtschaft der übelsten Sorte.” wird der erzürnte Herr zitiert.
Unter der Zwischenüberschrift
Drohen, Verhandeln, Kooperieren
wird das derzeitige aus der Not geborene Zusammenwirken zwischen europäischen Regierungen und Netzbetreibern beschrieben.
Europas Netzbetreiber seien zutiefst verärgert über die deutsche Energiepolitik und ihre Auswirkungen auf das Gesamtnetz. Dennoch könnten sie ihre nationalen Leitungen nicht gegen den unerwünschten Transitverkehr abschotten. Dazu seien die Verflechtungen schon zu stark und die gegenseitige Abhängigkeit zu groß.
Um einer einseitigen Blockade vorzubeugen arbeite 50Hertz eng mit der polnischen PSE zusammen. Seit Jahresbeginn stimmten sich die Netzbetreiber auf beiden Seiten der Grenze intensiv darüber ab, in welchem Land welches Kraftwerk hoch- oder heruntergefahren werden soll. Bis 2016 planten sie gemeinsam zwei sogenannte Phasenschieber an den Interkonnektoren zu bauen, die den Stromfluss physikalisch lenken können. Die Kosten von 160 Millionen Euro würden hälftig geteilt, der Betrieb partnerschaftlich geregelt.
Im Folgenden werden Koordinierungsmaßnahmen zwischen Netzbetreibern beschrieben.
Jede Menge koordinierte Maßnahmen der Übertragungsnetzbetreiber hätten sorgten bislang dafür gesort, dass die Lichter in Europa nicht ausgingen. (…)
Unter der Zwischenüberschrift
Waffenstillstand, kein Frieden
wird die derzeitge Situation zusammengefasst.
Technische Kooperation und Ausgleichszahlungen unter den Netzbetreibern bedeuteten nicht viel mehr als Waffenstillstandsabkommen im Stromkrieg. Um eine echte friedliche Koexistenz im europäischen Energieverbund zu erreichen, müsse Deutschland zuerst seine hausgemachten Probleme lösen.
Das EEG mit seinen teilweise an absurdes Theater erinnernden Regeln – es existieren mehr als 4000 verschiedene Vergütungskategorien für die Einspeisung von Strom aus regenerativen Quellen – gehört grundlegend reformiert.
Vor allem aber müssten die längst ausgearbeiteten Pläne für den innerdeutschen Netzausbau realisiert werden.
“Die Politik muss begreifen, was für ein komplexes System das europäische Elektrizitätssystem ist”, umschreibt Stephan Kohler, Chef der Deutschen Energie- Agentur, vornehm die Lage der Energiepolitik der Republik.
Mit einer Lösung tue sich das föderale Deutschland allerdings schwer. Und vor der Bundestagswahl im September werde sich daran nichts mehr ändern. Ob das für die Zeit danach avisierte Energieministerium Besserung bringen werde, sei zumindest fraglich. Ein Friedensschluss im europäischen Stromkrieg liege in weiter Ferne.
NACHTRAG 6.1.2014
Mittlerweile ist der Beitrag hier als freier Online-Content zugänglich.