Am 17. Oktober 2015 erschien in mehreren Tageszeitungen eine mit Steuermitteln finanzierte Anzeige, die den Auftakt zu einer Kampagne markieren soll. Darin verkündet das Bundeswirtschaftsministerium, dass es vor der eigenen “Energiewende”-Politik den Hut ziehe.
Begründet wird diese (Selbst-)Huldigung mit dem Verweis auf 230.000 “zukunftsfähige” Arbeitsplätze, die durch die Energiewende angeblich entstünden.
Über die tatsächlichen volkswirtschaftlichen Effekte der “Energiewende” sagt diese Anzeige rein gar nichts aus. Sehr viel verrät sie allerdings über die oder den Hutträger:
Offensichtlich trägt Minister Gabriel den Hut des Windkraftlobbyisten.
Bereits anlässlich des “Weißbuchs zum Strommarkt für die Energiewende” bescheinigten renommierte wissenschaftlich tätige Volkswirte Herrn Gabriel und den verantwortlichen Köpfen im von ihm geführten Ministerium fehlendes Marktverständnis und Naivität.
Dieses Attest wird durch vorliegende Anzeige eindrucksvoll untermauert:
Die Anzeige beruft sich auf eine bereits 7 Monate zuvor veröffentlichte Auftragsstudie des Ministeriums, welche die “Beschäftigung durch Erneuerbare Energien in Deutschland” zum Gegenstand hat. Diese “Studie” kann hier eingesehen werden. Eine nähere Würdigung verdient das Machwerk allerdings nicht, denn es wiederholt die ständig in diesem Zusammenhang begangenen grundsätzlichen methodischen Fehler, die sich unter dem Stichwort “zerbrochenes Fenster” abhandeln lassen (siehe dazu auch hier die Antwort auf Frage 9).
Aus ökonomischer Sicht ist bereits die Fragestellung unsinnig. Alles, was man zu den Beschäftigungseffekten der Energiewende wissen muss, ist in diesem Statement des Präsidenten des Ifo-Instituts enthalten:
Die Energiewende verlagert Kaufkraft aus den traditionellen Konsum- und Investitionsgüterbranchen in jene Branchen, die die Windturbinen, Solarpaneelen und andere Gerätschaften, die für den alternativen Strom nötig sind, herstellen. Diese Verlagerung erzeugt trivialerweise brutto in den profitierenden Branchen Arbeitsplätze, doch heißt das natürlich nicht, dass sie netto solche Arbeitsplätze schafft, denn in den traditionellen Sektoren, aus denen die Kaufkraft abgezogen wird, gehen Arbeitsplätze verloren. Wer behauptet, dass netto Arbeitsplätze entstehen, muss nachweisen, dass die Kapitalintensität der Produktion in den neuen Sektoren kleiner ist als in den alten. Dafür gibt es keine Anhaltspunkte. Im Übrigen gehört es zu der Perversion der öffentlichen Debatte, dass man es als Vorteil ansieht, wenn die Energieversorgung mit möglichst viel Arbeitseinsatz realisiert wird. Eine solche Aussage ist gleichbedeutend mit der Aussage, dass es ein Ziel des Staates sein sollte, teure Produktionswege zu bevorzugen. Wer das für richtig hält, sollte erst einmal die Rechnungshöfe abschaffen. Auch die beliebte Behauptung, die Energiewende müsse öffentlich subventioniert werden, weil der deutschen Industrie dadurch neue Märkte erschlossen werden können, steht auf wackligen Beinen, weil sie unterstellt, der Staat könne die weltweite Marktentwicklung besser beurteilen als private Investoren. Da die Welt keinerlei Anstalten macht, der deutschen Energiewende zu folgen, sondern sich von ihr abwendet (Fracking, Wiedererstarken der Atomkraft in Schweden, Japan, Polen, Spanien etc.), zeigt sich der Prognosefehler schon jetzt.” Quintessenz: „Durch Subventionen für unwirtschaftliche Technologien entsteht kein einziger neuer Arbeitsplatz, vielmehr wird Wohlstand vernichtet. Professor Hans-Werner Sinn, Präsident des Ifo-Instituts |
Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lage schreibt dazu:
„Das Großprojekt [Energiewende] wird derzeit ohne ein schlüssiges Gesamtkonzept umgesetzt. Zudem fehlt weiten Teilen der Politik offenbar nach wie vor die Einsicht, dass mit der bisherigen Vorgehensweise erhebliche volkswirtschaftliche Ressourcen verschwendet wurden, die beim Streben nach Wohlfahrt und gesellschaftlichem Fortschritt an anderer Stelle fehlen werden.“ Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lange, Jahresgutachten 2013/14 S. 416 |
Ein uns unbekannter Kommentator eines Zeitungsartikels brachte es so auf den Punkt:
Arbeitsplätze entstehen, indem jemand etwas Neues erfindet, das alle haben wollen, oder indem die vorhandene Arbeit auf alle aufgeteilt wird, oder in dem Effizienz verboten wird. Das Erste ist Fortschritt, das Zweite Kooperation und das Dritte Planwirtschaft. Die Energiewende hat für die Beschäftigung denselben Effekt wie ein Verbot von Traktoren in der Landwirtschaft. |
Die von weiteren unabhängigen Ökonomen, in diesem Artikel bereits 2011 und in diesem Vortrag (ab Min. 34) im Juni 2015, vorgebrachten ähnlich lautenden Argumente bleiben uneingeschränkt gültig:
Solange das EEG keine Lohnerhöhungen in allen Bereichen der Volkswirtschaft bei gleichzeitig stagnierenden Kosten generiert, muss das Geld, das die Beschäftigungszuwächse in den begünstigten Branchen finanziert, an anderer Stelle fehlen.
Neben einer allgegenwärtigen Schlampigkeit in Sachen Orthografie sind uns bei Lektüre der “Studie” diese Punkte ins Auge gesprungen:
Die Entwicklung der EE-Industrie in Deutschland hängt stark mit der Förderung der heimischen Nachfrage zusammen. Eine besondere Rolle spielt dabei das Erneuerbare Energien Gesetz (EEG). (…) In Summe konnten 261.500 Personen (70% der EE-Beschäftigten) 2013 der Wirkung des EEG zugerechnet werden. Im Vergleich zu 2012 entspricht das einem Rückgang von etwa 10%. 2004 lag der Anteil der Beschäftigung die auf die Wirkung des EEG zurückzuführen war noch bei 61%. Die stetige Zunahme dieses Anteils unterstreicht den Erfolg des EEGs im Vergleich zu anderen Förderinstrumenten.
Dass die Beschäftigung erheblich von Subventionen getragen wird und sich die Subventionsabhängigkeit noch erhöht hat, wird als Erfolg des EEG gedeutet.
Im Stromsektor steigen die Differenzkosten von derzeit (2012) 14,0 Mrd. €2012/a auf 16,0 Mrd. €2012/a in den Jahren 2018/2019. Danach sinken die Differenzkosten im Stromsektor stetig. Im Jahre 2043 werden die Differenzkosten negativ. Ab diesem Zeitpunkt ist eine Stromversorgung, wie sie im Ausbauszenario dargestellt ist, unter den hier getroffenen Annahmen bzgl. Investitionskosten, Wartungs- und Betriebskosten, sowie Brennstoff- und CO2-Preisen günstiger als die im Nullszenario dargestellte fossile Referenzentwicklung.
Bar jeder empirischen oder theoretischen Fundierung werden Kostensenkungen durch “Erneuerbare Energien” herbeifantasiert: In knapp 30 Jahren, wenn die jetzt installierten Windkraftanlagen definitiv ihren Geist aufgegeben haben und zwingend Ersatzinvestitionen zu tätigen sein werden, wird alles viel billiger.
Derartige Prämissen bilden das Rückgrat der “Studie”, die damit in der “Junk-Science” einzuordnen ist.
Leider handelt es sich nicht um eine Veröffentlichung aus dem Bereich der exakten Naturwissenschaften, sodass der mathematisch zwingende Nachweis der Falschheit nicht zu erbringen und der Vorwurf der Täuschung hier nicht zu erheben ist.
Gleichwohl ist es höchst erstaunlich, wie das BMWi – bisher das ordnungspolitische Gewissen der Bundesregierung – sich so offensichtlich von Partikularinteressen vereinnahmen, d.h. vor den Karren einer Branche spannen lässt. Dr. Jeckyll hat Sendepause.
Denn ebenso von fehlendem Verständnis von Marktprozessen zeugend und damit perfekt in das oben eingebaute Bild passend war die von Minister Gabriel in der Woche zuvor erhobene Forderung, dass Elektrofahrzeuge erschwinglich sein müssten. Damit brach der Minister den ehernen Grundsatz des Ministeriums, wonach allenfalls die Forschung im Bereich alternative Antriebe durch Steuermittel zu fördern, jedoch von direkter Subventionierung des Absatzes (Stichwort: “Kaufanreize”) strikt abzusehen ist.
Dabei sind die vermeintlichen ökologischen Vorteile der E‑Mobilität höchst umstritten. Mehr dazu hier und hier. Die soziale Dimension des ministerialen Ad-hoc-Vorschlags lässt sich mit Blick auf die typischen Käufer von E‑Autos abschätzen: Die sind laut einer DLR-Studie überwiegend gut gebildet, männlich und verfügen über ein höheres Einkommen. Im Durchschnitt sind sie 51 Jahre alt.
Im Klartext: Die Reinigungskraft der Schule soll das Hobby des gründünkelnden Studiendirektors finanzieren. Offenbar will der sozialdemokratische Minister neben dem zutiefst unsozialen EEG ein weiteres Instrument der Umverteilung von “unten” nach “oben” einführen. Die Elektroautolobby griff dies jedenfalls gerne auf. Offenbar steckt sie mit der Windkraftlobby unter einem Hut.