Am 11. November 2015 präsentierte der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung sein Jahresgutachten 2015/16. Nach dem Auftritt bei der Bundespressekonferenz folgte eine Vorstellung im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie.
Zwar stehen andere Themen im Zentrum des rund vierhundertseitigen Berichts, doch versäumten es die Autoren nicht, in unserem Sinne eine Ruhestörung zu begehen:
Die Wirtschaftsweisen erkennen an der von Staatssekretär Baake geprägten Energiepolitik weder Weises noch Wirtschaftliches. Das vollständige Gutachten kann hier heruntergeladen werden. Die relevanten Auszüge finden Sie hier (farbliche Hervorhebung durch uns):
Der Umbau der Energieversorgung in Europa im Hinblick auf den globalen Klimaschutz ist ein gemeinschaftliches Projekt von hohem politischem Stellenwert (…). Der mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) eingeschlagene Weg einer nationalen industriepolitischen Maßnahme ist dafür der falsche, da er die technologiespezifische Förderung von Erzeugungskapazitäten ohne Beachtung des Gesamtsystems ins Zentrum stellt und zu einer Kostenexplosion führt. (…). In jedem Fall sollten Verzerrungen, die durch nationale Förderprogramme wie das EEG entstehen, abgebaut werden. (S. 36f.) | ||
Weder lässt sich der Klimawandel durch rein nationale oder regionale Anstrengungen zur Emissionsbegrenzung in Europa wirksam begrenzen, noch ist es sehr aussichtsreich, darauf zu setzen, dass andere Länder allein aufgrund der Vorreiterrolle Europas den gleichen Weg einschlagen werden (Wissenschaftlicher Beirat beim BMF, 2010). | ||
Vielmehr sollte bei diesem umfassenden und voraussichtlich Jahrzehnte in Anspruch nehmenden Projekt die wirtschaftliche Effizienz nicht außer Acht gelassen werden. Denn aus ökonomischer Perspektive stellt dieser Umbau eine Investition dar, mit erheblichen, bereits heute anfallenden Kosten, die jetzt von Haushalten und Unternehmen getragen werden müssen, und mit weitgehend unsicheren Erträgen, die in der Zukunft liegen. Dabei bestimmen die aktuellen energiepolitischen Weichenstellungen entscheidend über die Höhe der Kosten. Nachahmer werden sich in der internationalen Staatengemeinschaft nur dann finden lassen, wenn diese Kosten nachweislich nicht zu großen volkswirtschaftlichen Nachteilen führen. Mit dem als Maßnahme nationaler Industriepolitik ausgerichteten Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) hat die Politik dem technologiespezifischen und nicht durch die Integrationsfähigkeit des Systems begrenzten Ausbau der EE unbedingte Priorität eingeräumt (JG 2011 Ziffern 422 ff., Monopolkommission, 2011). Diese Strategie wurde trotz der erheblichen Kritik aus der Wissenschaft und ohne weitere Beachtung konstruktiver Alternativmodelle mit nichttechnologiespezifischer EE-Förderung, etwa des vom Sachverständigenrat vorgestellten Quotenmodells (JG 2011 Ziffern 431 ff., Monopolkommission, 2011), bislang beibehalten. Alle Versuche, durch punktuelle Reformen die mit dem EEG verbundene Kostenexplosion einzudämmen, haben keine entscheidende Kehrtwende eingeleitet (JG 2014 Ziffer 35). Im Gegenteil: Der starke Ausbau der Windkraftanlagen vor deutschen Küsten und vor allem an Land im vergangenen und in diesem Jahr dürfte die Kosten weiter steigen lassen. | ||
Diese rein national ausgerichtete Strategie ist aus klimapolitischer Sicht wenig überzeugend, da die EU mit dem europaweiten Handelssystem für Treibhausgasemissionen (Emissions Trading System, ETS) im Energie- und Industriesektor bereits seit dem Jahr 2005 über ein effektives Instrument zum Klimaschutz verfügt. Dieses könnte als wirksames Leitinstrument für eine europäische Klimaschutzstrategie dienen (JG 2011 Ziffer 432). Mit dem ETS wollen die europäischen Staaten ihre CO2-Emissionen gemeinschaftlich bis zum Jahr 2030 um 40 % gegenüber dem Jahr 1990 senken. Insbesondere bietet das ETS Staaten außerhalb der EU die Möglichkeit, sich dem System anzuschließen und damit die Allianz gegen den Klimawandel schrittweise zu erweitern (EU-Richtlinie 2009/29/EG; Ellerman et al., 2014). Das ETS wäre ebenfalls ein hervorragendes Instrument für eine wirtschaftlich effiziente europäische Energiepolitik, wenn sich künftige Klimaschutzabkommen statt auf Mengenziele auf ein globales Preisziel einigen sollten (Cramton et al., 2015). | ||
Damit das ETS seine Wirkung als Leitinstrument voll entfalten kann, müssten zudem Verzerrungen durch nationale Förderprogramme abgebaut werden, beispielsweise die Förderung der EE durch das EEG in Deutschland. Denn durch die Mengensteuerung der Emissionsrechte auf EU-Ebene führen die nationalen Programme nur zu einer Umverteilung der Emissionen (Monopolkommission, 2015b). | ||
Die Bundesregierung hat nach wie vor die Möglichkeit, den globalen Klimaschutz in den Mittelpunkt ihrer Bemühungen im Rahmen der Energiewende zu stellen und diesem wichtigen gesellschaftlichen Vorhaben damit eine größere Erfolgsaussicht zu verleihen. Eine solche energiepolitische Kehrtwende würde allerdings zwingend erfordern, die im skizzierten Ausbau des ETS verkörperte europäische Perspektive weit stärker in den Mittelpunkt zu stellen und gleichzeitig entschieden von der bislang verfolgten nationalen Industriepolitik im Bereich der EE abzurücken. Die im Jahr 2016 anstehende Reform des EEG könnte dafür genutzt werden: Die nationale Förderung von EE sollte künftig ganz entfallen oder zumindest, wenn die politische Kraft in diesem von Interessengruppen dominierten Politikbereich dazu nicht ausreicht, technologieneutral ausgerichtet werden (JG 2014 Ziffer 36, acatech et al., 2015). Würde sich die Bundesregierung zu diesem Weg entschließen, könnte sie künftig vermeiden, immer wieder neue Subventionstatbestände einrichten zu müssen, die durch den aktuell vorherrschenden nationalen Fokus erzwungen werden und die Energiewende unnötig verteuern. (S. 323ff.) |
Wie bereits in den vergangenen Jahren fühlen wir uns durch die “crème de la crème” der deutschen Volkswirtschaftslehre in unseren Positionen bestärkt. Am 21. November 2015 bietet sich Gelegenheit, diese Positionen zu reflektieren. Im Interesse von Mensch und Natur gilt es, die oben grün markierte politische Kraft zu entwickeln.