Sinn und Unsinn von Online-Petitionen
Unter einer Petition versteht man alltagssprachlich eine Bittschrift oder eine Eingabe. Hier wird bereits deutlich, was eine Petition niemals sein kann: nämlich die Verfolgung eines Anspruchs auf eine bestimmte Leistung oder ein bestimmtes Verhalten einer Behörde, der Regierung, eines Parlaments usw.
Das Petitionsrecht ist in Deutschland in Art. 17 des Grundgesetzes verankert. Demnach hat “jeder Bundesbürger das Recht, sich an die zuständigen Stellen zu wenden”.
Die offizielle Annahmestelle für Bürgereingaben an die Regierung ist hierzulande der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages. Etwa 60 solcher Anfragen landen im Durchschnitt dort täglich. Seit 2005 ist es möglich, sich auch online zu beteiligen. Persönliche Anliegen können in einer Einzelpetition eingereicht werden; für allgemeine Anliegen gibt es öffentliche Petitionen.
Bei öffentlichen Petitionen wird das Anliegen und die Begründung im Internet unter Bekanntgabe des Namens des Einreichenden eingestellt. Andere Personen, die die Anliegen für berechtigt halten, können diese Petitionen durch eine „Mitzeichnung” unterstützen. Außerdem können die Nutzer über die Petitionen in einem Forum diskutieren. Erhält eine Petition innerhalb von vier Wochen das notwendige Quorum von mindestens 50.000 Unterstützern, hat der Petent die Möglichkeit, sein Anliegen öffentlich im Petitionsausschuss vorzutragen. Dies geschieht allerdings nicht immer, da der Ausschuss eine Anhörung mit einer Zweidrittelmehrheit ablehnen kann.
Wie viele Bürgereingaben tatsächlich zu einer Gesetzesänderung führten, kann der Webseite nicht entnommen werden. Laut einem Mitarbeiter des Petitionsausschusses sei seit Beginn der Online-Petitionen nur ein einziges Gesetz verändert worden: Der Frontschutzbügel an Pkw, auch Kuhfänger genannt, wurde auf Deutschlands Straßen verboten. (Quelle: Wikipedia)
Seit mehreren Jahren kommen zu den offiziellen Annahmestellen immer mehr private Petitionsplattformen hinzu. Zu den bekanntesten zählen Avaaz, openPetition, Change.org und Campact.
Uns erscheinen diese Institutionen nur bedingt transparent und teilweise ideologische, politische und finanzielle Ziele zu verfolgen, die unseren Positionen deutlich zuwiderlaufen.
Beispielsweise wurde eine seitens eines Vernunftbürgers bei Avaaz eingerichtete Petition, die auf mehr Menschen- und Naturschutz beim Windkraftausbau zielte, seitens Avaaz mit dem Hinweis vom Netz genommen, dass man die Energiewende befürworte und das Anliegen daher nicht unterstützen könne.
Abgesehen von der aus unserer Sicht fragwürdigen Zielsetzung, Legitimation und Transparenz dieser Betreiber von Online-Petitionsportalen (mehr dazu hier) ist zu berücksichtigen, dass dortige Eingaben sich nicht an den Petitionsausschusses richten.
Vielmehr wenden sich diese Online-Petitionen an Unternehmen, Parteien, Parlamente oder andere Institutionen und fordern sie auf, etwas zu tun bzw. zu lassen; sie sind ein Instrument der Öffentlichkeitsarbeit. Es handelt sich hier also nicht um die effiziente Wahrnehmung des verfassungsmäßig verbrieften Petitionsrechts sondern um bloßes “Campaigning”. Ob die gesammelten Unterschriften physisch überreicht werden, erscheint sekundär; es genügt in der Regel, dass der Empfänger weiß, wie viele Menschen den Aufruf unterschrieben haben.
Der Zuspruch, den Online-Petitionen auf privaten Plattformen erfahren, begründet sich nicht zuletzt in der Anonymität, die diese bieten. Denn anders als beim Bundestag ist keine Identitätsbestätigung erforderlich und die Daten werden nicht auf ihren Wahrheitsgehalt geprüft. Wer eine Mail-Adresse besitzt, kann ohne Weiteres unterzeichnen. Auch das Erstellen einer Petition gestaltet sich so bedeutend einfacher. Die Erfolgsaussichten derartiger Petitionen sind jedoch verschwindend gering. Es besteht keinerlei Recht der Petenten darauf, dass sich die Adressaten wirklich mit der Petition beschäftigen.
Sicher ist es ein schöner Gedanke, mit wenigen Mausklicken etwas zu bewegen. Ein guter Mensch zu sein, ist ganz einfach und man braucht dazu nicht einmal vom Sofa aufstehen: Klicktivismus statt Aktivismus. Hier ein Klick gegen Monsanto, dort einer gegen den globalen Steuerschwindel und da vielleicht nochmal schnell gegen Tierversuche unterschreiben und mit der PC-Maus den Labormäusen das Leben retten.
Aber ebenso gering, wie die Mühe, ist letztendlich auch das Gewicht, das Online-Petitionen regelmäßig haben: Nämlich Null. Elektronische Unterschriftensammlungen sind einfach zu beliebig, als dass sie wirklich ernst genommen werden würden. Wenn im Rahmen einer Online-Petition einige tausend oder sogar zehntausend Unterschriften zusammenkommen, ist das bestenfalls ein Signal, eine gebündelte Meinungsäußerung – aber noch lange kein repräsentatives Stimmungsbild.
Inzwischen existieren auch unzählige solcher Online-Petitionen gegen bestimmte Windkraft-Projekte, deren Unterzeichnungsverlauf sich stets gleicht. Der Anteil derer, die ihr gewähltes Quorum erreichen, liegt bei schätzungsweise 5 Prozent. Es ist uns bislang kein einziger Fall belegt, bei dem das Ergebnis einer solchen Online-Petition die Entscheidung über den Bau oder Nicht-Bau von WKA in irgendeiner Weise beeinflusst hätte.
Nach unserer Auffassung sind Online-Petitionen aber nicht nur wirkungslos, sondern unter Umständen sogar schädlich:
Im Jahr 2014 wurde an VERNUNFTKRAFT. eine bundesweite Petition herangetragen, die das Ziel hatte, die Aufhebung der baurechtlichen Privilegierung zu erreichen. Die Petition war durch eine engagierte Einzelperson in die Welt gesetzt worden und hatte bereits ein paar Tausend Unterschriften erzielt.
Wir überlegten damals, ob wir das unterstützten oder ignorieren sollen. Für schlichtes Ignorieren sprach die nur teilweise mit unseren Positionen übereinstimmende Formulierung des Textes sowie die Unwahrscheinlichkeit des Erreichens des Quorums von 50.000 Unterschriften. Da uns diese Petition medienwirksam jedoch schon zu weit fortgeschritten schien und nichts schädlicher erschien, als eine öffentlich breitgetretene bundesweite Petition gegen WKA, die nur von einer kläglichen Anzahl Bürger unterstützt wird, haben wir damals alles Mögliche getan, um diese kurzfristig zu “pushen”.
Ein gewaltiger Kraftakt, bei dem unzählige Telefonate geführt und Mails verschickt wurden, um Bürgerinitiativen zum Mitmachen zu bewegen und deren Mitglieder zum Unterzeichnen zu animieren. Neben Enoch zu Guttenberg waren auch Heiner Geißler und Oskar Lafontaine als Zugpferde mit “im Boot” (siehe: https://www.vernunftkraft.de/die-welt-schaut-auf-deutschland/.) Trotz aller Anstrengungen erhielt die Petition gerade einmal rund 25.000 von 50.000 benötigten Stimmen.
Dieser bescheidene Erfolg bekümmert uns insofern nicht allzu sehr, als es dem Zentralverband des Bäckerhandwerks, der über 12.000 Meisterbetriebe mit über 275.000 Mitarbeitern vertritt, kaum besser gelang, für sein ähnliches Anliegen zu mobilisieren:
Die Bundestags-Petition zur “Abschaffung der EEG-Umlage” (vom 28.11.2013) kam trotz professioneller Kampagne online nur auf 669 Unterzeichnungen. Die an den Zentralverband angeschlossenen Bäckereien – ca. 13.000 Betriebe – haben die Petition unterstützt und in den Filialen zusätzlich von Hand Unterschriften gesammelt. Trotzdem konnte das Quorum von 50.000 Unterschriften innerhalb der vorgegebenen Frist (bis Ende Dezember 2013) nicht erreicht werden. Erst am 18. Februar 2014 (11 Wochen und 5 Tage nach Petitionsstart) hat der Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks e. V. dann 52.000 Unterschriften an die Vorsitzende des Petitionsausschusses übergeben können.
“Der Petitionsausschuss weist jedoch auf die aktuelle Strompreisentwicklung hin: Am 15. Oktober 2014 haben die Übertragungsnetzbetreiber bekanntgegeben, dass die Höhe der EEG-Umlage ab dem 1. Januar 2015 von 6,24 Cent/kWh auf 6,17 Cent/kWh sinkt, erstmals seit Bestehen des EEG. Damit ist die Kostendynamik der vergangenen Jahre erfolgreich durchbrochen worden. Damit hat die jüngst in Kraft getretene EEG-Novelle bereits einen unmittelbar dämpfenden Einfluss auf die EEG-Umlage 2015. Im Vergleich zum alten EEG wirkt sich insbesondere die Neugestaltung der BesAR für die stromintensive Industrie kostendämpfend aus. Denn unter dem alten EEG hätte es eine deutliche Ausweitung der begünstigten Strommengen gegeben. Das BMWi teilte dem Ausschuss darüber hinaus mit, dass perspektivisch erwartet wird, dass sich das neue EEG auch über die BesAR hinaus deutlich entlastend auswirken wird und somit zur Stabilisierung der EEG-Umlage beiträgt.” | ||
Fälschlich insofern, als viele Vernunftbürger die vorstehenden Argumente kennen und solche Petition per se ablehnen und insofern, als wir im Unterschied zu den Freunden des Irrationalen nicht über einen riesigen Fundus an E‑Mailverteilern verfügen, die man mal eben so beschicken kann. In Punkto Online-Campaigning und Schaumschlägerei sind wir Organisationen wie Greenpeace, BUND und CAMPACT – bei denen sich ganze Stäbe sich um nichts anderes kümmern – notorisch und strukturell unterlegen. Es ist nicht klug, dies öffentlich zu dokumentieren.
Hinzu kommt: Wir machen uns berechenbar. Mit den unzähligen Online-Petitionen gegen Windkraft-Projekte liefern wir unseren Gegnern unsere Daten quasi frei Haus (bei Open Petition bspw. werden alle Unterzeichner mit einem Punkt auf einer Karte dargestellt) und dokumentieren eine gewisse Naivität, die unser politisches Gewicht schwächt.
VERNUNFTKRAFT. empfiehlt:
Widerstehen Sie der Versuchung, die Zeit und Aufmerksamkeit Ihrer Mitstreiter für derartige Petitionen in Anspruch zu nehmen. Unterschriftensammlungen sollten vor Ort stattfinden. Basisdemokratische Strategien können sehr erfolgreich sein, wenn man mit “offenem Visier” den direkten Austausch sucht. Also lieber von Tür zu Tür gehen, mit den Menschen reden und sie überzeugen. Weniger bequem als das simple Klicken am PC aber besonders effektiv ist es beispielsweise, politische Entscheidungsträger mit vernünftigen Argumenten und Schriften im Gepäck aufzusuchen und im direkten Gespräch für eine bessere Politik zu werben.
Die Ein-Klick-Stimmabgabe suggeriert vielen Mit-Petenten, etwas Mit-Entscheidendes getan zu haben und verhindert somit fast in der Regel ihr wirkliches Engagement z.B. in einer Bürgerinitiative. Für viele Unterzeichner hat es dann den „wir-können-ja-sowieso-nichts-ändern” – Effekt als Konsequenz. Verschenktes Potential.
Couch-Aktivismus bringt nichts – stehen Sie lieber auf.