In der Ukraine herrscht Krieg. Die deutsche Windkraftlobby ist mit Propaganda zur Stelle.
Am 24. Februar 2022 verletzt die russische Armee die ukrainische Staatsgrenze. Einen Tag später rollen russische Panzer in Richtung Kiew. Es sind schreckliche Ereignisse. Ein Rückfall in Zustände, die wir in Europa für alle Zeiten hinter uns wähnten. Die Tragik, die Angst und das Leid der ukrainischen Bevölkerung sind allgegenwärtig. Die geopolitische Entwicklung bereitet größte Sorgen.
Während den meisten Menschen der Atem stockt, melden sich Vertreter der Windkraft-Industrie beherzt zu Wort. In Form einer schon länger eingeübten Erzählung, die im Kanonendonner des Krieges eine neue Resonanz erfahren soll:
Dass der Ausbau der Windkraft der öffentlichen Sicherheit diene, war vom Bundesverband Windenergie und ihm gewogener Teile der Politik bereits 2020 zu hören und zu lesen. Damals wurde die Erzählung als “Treppenwitz” erkannt. Das dahinterstehende Ansinnen – den Natur- und Artenschutz auszuhebeln – wurde entlarvt und dank mannigfaltiger Interventionen vereitelt.
Nun, im Lichte der schrecklichen Ereignisse, nutzen die gleichen Akteure das Klima der Verunsicherung, um knallhart ihre Profitinteressen zu vertreten. Der Ausbau der Windenergie sei erheblich auszuweiten und zu beschleunigen, da er den Weg in die Unabhängigkeit vom russischen Gas weise.
Vergleichsweise sachlich formuliert dies die Vorsitzende des Bundesverbands Erneuerbare Energien (BEE), Simone Peters (ehemalige Bundesvorsitzende der Grünen):
Die Erneuerbaren Branchen stehen als Lösungsgeber zur Verfügung, um bestehende Abhängigkeiten zu lösen und die heimische Produktion von grüner Energie auszuweiten. Durch entsprechende Verfahrensstraffungen kann die installierte Leistung bei Windenergie und Photovoltaik schnell steigen. Damit lässt sich sicherstellen, dass die Erzeugung aus Erneuerbaren Energien zeitnah einen Teil der bisher nötigen Importe ersetzt.
(Quelle)
Inhaltlich ebenso falsch, dabei aber stilistisch völlig frei drehend, äußert sich ihr Kollege Martin Maslaton, seines Zeichens Landesvorsitzender des Bundesverbands Windenergie (BWE):
Schluss mit dem ganzen Piep Matz, Denkmalschutz- ‚Luftverkehrs- und sonstigen Einwendungsgequatsche. Jeder aber auch wirklich jeder vom kleinsten Verwaltungsbeamten bis in die Spitzen aller Regierungen die jetzt noch Windenergieanlagen verhindern verteuern den Strom unnötig und tragen ihren vernichtenden Teil zu einer potentiellen weiteren Energieabhängigkeit vom russischen Massenmörder und Diktator Putin bei!
(Zeichensetzung gemäß Verfasser)
Die Alternative zu mehr Windkraftanlagen sei der Blick in russische Kanonenrohre, lässt M.M. verlauten. Wohlgemerkt stammt diese unappetitliche Absonderung nicht aus der Feder irgendeines unbedeutenden Privatmanns, sondern von einem Landesvorsitzenden des BWE.
Leider wurde die Erzählung, dass Erneuerbare Energien und speziell die Windkraft den Weg aus der Abhängigkeit weisen würden, auch von hochrangigen Vertretern der Bundesregierung übernommen. Das ist äußerst tragisch, denn es zeugt von völliger Verkennung der energiewirtschaftlichen Realität.
Die sieht nämlich so aus:
- Im Jahr 2021 trug Erdgas 26,7 Prozent zur Deckung des deutschen Primärenergiebedarf bei, Mineralöl lieferte 31,8 Prozent. Davon bezog Deutschland 55 Prozent (Gas) bzw. 35 Prozent (Öl) aus Russland.
- Alle deutschen Windkraftanlagen – an Land wie auf See – trugen 3,5 (in Worten: Drei-komma-fünf) Prozent zum Primärenergiebedarf bei. Wobei dieser Beitrag nie bedarfsgerecht war, sondern stets durch regelbare Kraftwerke (Gas, Kernenergie, Biomasse, Wasserkraft, Kohle) flankiert/abgesichert werden musste.
- Energieexperten und Mitglieder der Bundesregierung erklärten noch kürzlich, dass die Pläne zur Umstellung auf Erneuerbare Energien bei Ausstieg aus Kohle- und Kernenergie kurz- bis mittelfristig den Bau von bis zu 80 neuen Gaskraftwerken erfordert. Um dies zu ermöglichen, hatte die Bundesregierung Druck auf die EU-Kommission ausgeübt und Gaskraftwerke als „nachhaltig“ deklarieren lassen (Taxonomie-Diskussion).
- Die Abhängigkeit von russischem Gas ist ausschließlich den politischen Beschlüssen zum Ausstieg aus Kernenergie und Kohleverstromung geschuldet. Kurz- und mittelfristig ist nur eine (temporäre) Revision dieser Beschlüsse geeignet, die Abhängigkeit zu reduzieren.
- Die Dimension dieser Abhängigkeit macht es völlig illusorisch, ihr mit Windkraftanlagen zu entkommen. Im Gegenteil: Es sind die volatilen Erzeuger, die den Pufferbedarf durch flexible Gaskraftwerke erst notwendig machen.
- Selbst wenn es gelänge, die Windstrom-Produktion in utopischem Umfang zu skalieren, wäre sie aufgrund der zufälligen Schwankung ihrer Erzeugung kein adäquater Ersatz für grundlastfähige Gaskraftwerke.
Ergänzend zum letzten Punkt:
Im Jahresdurchschnitt verhalten sich alle Windkraftanlagen an jedem 10. Tag so, als wären sie nicht vorhanden. Für die Dauer von 36 Tagen im Jahr fällt die Windstromproduktion de facto aus. An jedem 4. Tag, also für die Dauer von drei Monaten, liegt die Stromproduktion unter 10% der installierten Leistung.
Das ist vergleichbar mit dem 10-Zylinder Dieselmotor einer Lokomotive, bei dem an jedem 4. Tag neun von zehn Zylindern abgeschaltet sind. Kein vernunftbegabter Mensch käme auf den Gedanken, eine Bahn mit solchen Lokomotiven zu betreiben.
Das Narrativ von der öffentlichen Sicherheit durch Windkraft zeugt nur von der Unverfrorenheit ihrer Erfinder – bzw. von der numerischen Unbedarftheit derer, die dieser Verdummung auf den Leim gehen.
Wir bei VERNUNFTKRAFT. werden jedenfalls weiter für Natur- und Artenschutz einstehen und interessengeleiteter Propaganda Paroli bieten.
Wer die Abhängigkeit von russischem Gas wirklich mildern und die Versorgungssicherheit dennoch wahren will, kommt nicht umhin, die grundlastfähigen und heimischen Energiequellen aus der (politisch definierten) “Schmuddelecke” herauszuholen und mindestens temporär zu rehabilitieren. Insofern nehmen wir die denksportlichen Lockerungsübungen des zuständigen Bundesministers wohlwollend zur Kenntnis.
Annäherung an die Realität ist allemal zielführender als Anbiederung an den Zeitgeist.